Dann muss es Liebe sein
vermutlich noch aus der Zeit, als der alte Fox-Gifford studiert hat. Als ich vor einiger Zeit einmal in ihrem Büro auf Alex gewartet und aus Langeweile in einer Schublade herumgestöbert habe, bin ich auf ein uraltes Aderlassmesser und ein paar gläserne Spritzenkolben gestoßen.
»Wir haben einen kleinen Generator, also könnten wir dich wenigstens mit Licht versorgen. Bitte, Maz. Ich wäre viel ruhiger …«
Ich lege eine Hand auf meinen Bauch. Das Baby drückt ein Knie oder einen Ellbogen dagegen. Oben im Herrenhaus wären wir sicher, und ich könnte die Nacht in Alex’ Armen verbringen, sofern er nicht wieder zu einem Notfall gerufen wird.
Meine Entscheidung steht fest.
»Danke, Alex. Wir bringen die Patienten gleich hoch.«
»Sei vorsichtig«, antwortet er. »Im Moment sind die Straßen noch passierbar, aber ich weiß nicht, wie es nachher aussieht. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Ich gehe auf die Station, wo Frances und Shannon gerade den wütenden Ginge in eine Katzenbox stecken. »Planänderung. Wir bringen die Tiere rauf ins Herrenhaus.«
»Talyton Manor?«, fragt Shannon. »Aber das ist doch der Feind.«
»Mag sein, aber wir bleiben nicht hier. Macht schon. Sucht alle Transportboxen zusammen, die wir haben, und packt die Tiere da rein. Danach heben wir alle Geräte auf die Arbeitsflächen und Behandlungstische oder bringen sie hoch in den ersten Stock, wenn es geht, und dann fahren wir mit meinem Wagen zum Herrenhaus.«
»Bei diesem Wetter fahre ich nicht«, erklärt Frances.
»Brauchen Sie auch nicht«, entgegne ich. Draußen auf der Straße höre ich eine Sirene.
»Und Sie sollten auch nicht fahren, Maz.«
»Ich schaffe das schon.« Ich spüre ihren starren, zornigen Blick fast körperlich, und meine Entschlossenheit weicht mütterlichen Schuldgefühlen. Denn inzwischen weiß ich, was diese Worte bedeuten: mütterliche Schuldgefühle. Mein Baby steht bei mir nicht an erster Stelle, und Frances verurteilt mich für diese Einstellung. In ihren Augen bin ich eine schlechte Mutter – und werde es auch immer sein. »Ich bringe Shannon und die Patienten ins Herrenhaus und komme anschließend noch mal zurück, um Ginge und Tripod zu holen. Sie können nach Hause gehen, wenn Sie wollen.«
»Nein, ich bleibe hier und helfe Ihnen. Sie sollten in Ihrem Zustand nichts heben, Maz.« Sie hält kurz inne. »Wollen Sie Emma nicht anrufen? Ich finde, sie sollte wissen, was hier los ist. Offen gesagt, ich finde wirklich, sie sollte herkommen und uns helfen. Das ist schließlich ein Notfall.«
Sie hat recht. Emma ist nach wie vor Miteigentümerin der Praxis, ob ihr das nun passt oder nicht. Wie auch immer ihre Entscheidung bezüglich unserer Partnerschaft und der Praxis ausfallen wird, es liegt auch in ihrem Interesse, die Schäden so gering wie möglich zu halten. Außerdem verspüre ich einen merkwürdigen leichten Schmerz in meinem Becken, als würde mein Innerstes langsam, aber stetig nach außen gezogen. Und vorhin habe ich ein bisschen Blut verloren, nicht viel, jedoch genug, um mich davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee wäre, Computer und Bildschirme hochzuheben oder das Röntgengerät in der Gegend herumzuschieben.
Ich ziehe mich zum Telefonieren in den Personalraum zurück. Zuerst rufe ich Emma an. Ich versuche es dreimal, bis sie endlich rangeht.
»Emma, wir haben hier eine mittlere Katastrophe«, komme ich ohne Umschweife zur Sache. »Das Otter House steht unter Wasser.«
»Oje.« Ihre Stimme klingt derart unbekümmert, dass ich weiß, es ist ihr vollkommen egal. Am liebsten würde ich sie anschreien, aber ich beiße mir auf die Zunge.
»Du musst herkommen und uns helfen. Frances, Shannon und ich sind allein hier. Ich möchte so viel Material wie möglich in Sicherheit bringen, ehe wir mit den Patienten rauf ins Herrenhaus fahren.«
»Dann kannst du doch gleich die Fox-Giffords um Hilfe bitten«, sagt Emma.
»Das geht nicht.«
»Ach, die haben wohl zu viel mit ihren eigenen Patienten zu tun, was?«, entgegnet sie sarkastisch.
»Ja, so ist es.« Ich zögere. »Hast du heute noch nicht aus dem Fenster gesehen? Hast du die Nachrichten nicht gehört? Der Fluss ist über die Ufer getreten. Für Talyton St. George und das gesamte Umland gilt Hochwassergefahr.« An Emmas Schweigen erkenne ich, dass es sinnlos ist. »Emma, ich tue, was ich kann. Ich stehe bis zu den Knöcheln in schmutzigem Wasser, wir haben keinen Strom mehr, alles geht kaputt, ich muss kranke Tiere von hier
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