Dann muss es Liebe sein
weiterverwiesen hätte.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe Delphi noch nie so traurig erlebt. Sie hatte eine besondere Beziehung zu diesem Pferd. Sie war die Einzige, die sich ihm nähern konnte, ohne dass es nach ihr schnappte oder trat.«
»Du darfst dir keine Vorwürfe machen …«, setze ich an.
»Das tue ich aber«, fällt er mir ins Wort. »Ich gehe jetzt erst mal unter die Dusche.«
Eine halbe Stunde später taucht er wieder auf, gleichzeitig mit Astra, die sich fürchterlich darüber aufregt, wie ich mich um ihre Kinder gekümmert habe.
»Wie kommen Sie dazu, ihnen Zucker zu geben?«, schimpft sie, und ihr Blick saugt sich an der leeren Choco-Krispies-Packung auf dem Abtropfbrett fest. »Wie oft …?«
Ich mustere die große, dürre Frau mit dem hageren Gesicht, dem schulterlangen blonden Haar und der giftigen Zunge und denke im Stillen, dass sie selbst ein bisschen Zucker vertragen könnte, vielleicht wäre sie dann etwas entspannter. Sie hat eine Sonnenbrille im Haar und trägt zu ihrer Jeans ein farbenfrohes getupftes Shirt mit kurzem Reißverschluss – sehr stylish. Ich fühle mich ihr gegenüber im Nachteil in Alex’ Bademantel und einem Paar von seinen Socken, die ich angezogen habe, weil meine Füße auf dem Steinboden kalt wurden.
Seb klammert sich an Astras Bein und ruft ununterbrochen »Mami, Mami, Mami«, und obwohl ich mich frage, was für eine Mutter sie wohl ist, hebt sie ihn hoch und setzt ihn auf ihre knochige Hüfte. »O Sebby, ich hab dich vermisst.«
»Ich hab dich auch vermisset.« Seb und seine Mutter reiben ihre Nasen aneinander. Mir fällt auf, dass ihr Gesicht ungleichmäßig gebräunt ist. Um die Augen herum hat sie einen blassen Rand von der Skibrille.
»Ich hab dich vermisst«, ruft Lucie, die hereingelaufen kommt und eine Spur aus schlammigen Fußabdrücken auf dem Boden zurücklässt. »Mami!« Sie zerrt am Arm ihrer Mutter und versucht, Sebastian herunterzuziehen. »Dürfen wir nächstes Mal mit zum Skifahren?«
Astra sieht an mir vorbei.
»Da müsst ihr euren Vater fragen«, sagt sie, und mir wird bewusst, dass Alex hinter mir steht. Er hat eine Hand an meine Taille gelegt.
»Bitte, Daddy«, bettelt Lucie.
»Ich fahre mit euch zum Skifahren«, erwidert Alex kühl.
»Klar doch«, entgegnet Astra. »Und wann soll das sein? Bis du Zeit dafür hast, ist die Erde noch ein paar Grad wärmer geworden, und es gibt überhaupt keinen Schnee mehr.«
Alex’ Hand erstarrt, und ich trete einen Schritt zur Seite, da ich nicht in ihren Familienkrieg hineingezogen werden will.
»Möchte jemand Kaffee?«, frage ich.
»O nein, danke«, antwortet Astra naserümpfend. »Wir fahren gleich weiter. Hugo wartet im Wagen.«
»Ich will nicht zurück nach London«, beklagt sich Lucie.
»Sie sagt, sie geht nicht gerne zur Schule«, sagt Alex, an Astra gewandt.
»Niemand geht gerne zur Schule«, kontert Astra wegwerfend. »Man geht nicht hin, weil es so wahnsinnig viel Spaß macht.«
»Ich will auch zur großen Schule gehen«, erklärt Seb und windet sich aus dem Arm seiner Mutter.
»Du kannst für mich gehen«, wirft Lucie ein.
»Hast du schon mit dem Direktor gesprochen?«, fragt Alex.
»Wann hätte ich denn dafür noch Zeit finden sollen, Alex? Sieh mich jetzt nicht so an.«
Astra arbeitet nicht, aber ich hatte schon immer den Eindruck, dass sie eher unter Freizeitstress leidet. Als Heimchen am Herd kann man sie beim besten Willen nicht bezeichnen. »Lucie, Seb, sammelt euer Spielzeug zusammen, damit wir fahren können.«
»Das lief doch ganz gut, oder?« Alex’ Finger spielen mit dem Haar in meinem Nacken, während wir zusehen, wie Hugos Mercedes vom Hof fährt. Die Kinder sitzen angeschnallt auf der Rückbank, und Seb hat einen Teddybären im Arm, der fast genauso groß ist wie er selbst.
»Woher willst du das wissen?«, erwidere ich mit leisem Vorwurf. »Du warst ja nicht dabei.«
»Das war wahrscheinlich auch besser. So konntest du die Kinder in aller Ruhe kennenlernen.« Alex verstummt für einen Moment. »Du warst im Vorfeld so nervös, ständig hattest du neue Ausreden, aber du scheinst wirklich gut mit ihnen klargekommen zu sein.«
»Ja, du hast recht.« Ich glaube, es ist Zeit für ein Geständnis. »Ich war mir nicht sicher, ob ich sie tatsächlich kennenlernen sollte. Ich wollte die Dinge nicht unnötig kompliziert machen.«
»Und jetzt?«
Ich lasse mich gegen ihn sinken.
»Ich werde es versuchen – mit den Kindern. Doch ich glaube nicht, dass ich es
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