Dann muss es Liebe sein
Sie bemerkt den Stich kaum, denn ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf den Cremekeks gerichtet, den Declan ihr vor die Schnauze hält, um sie abzulenken.
»So. Das war’s«, sage ich, woraufhin Sally Declan den Keks vorsichtig aus der Hand nimmt und ihn in einem Stück hinunterschlingt.
Ich trinke meinen Tee, und als ich meine Arzttasche schließe, bemerke ich, wie Declan Penny etwas zuflüstert.
»Bitte, Pen, nur damit ich beruhigt bin.«
»Ich weiß, das ist nicht Ihr Fachgebiet, Maz«, setzt Penny an, und ich frage mich, was sie wohl von mir will. »Sally sitzt in letzter Zeit häufig neben mir und drückt ihre Nase gegen mein Bein.« Sie zieht eines ihrer Hosenbeine hoch, und darunter kommen eine flauschige rosa Socke und ein leuchtend weißes Schienbein zum Vorschein. »Sehen Sie den Fleck da?«
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass man ihn schwerlich übersehen kann, weil ich ihr keine Angst machen will. Auf ihrem Schienbein prangt ein Muttermal, eine wahre Vulkaninsel aus braunen Pigmenten, die auf ihrer Haut ausbricht. Ich beiße mir auf die Lippen und weiß nicht, wie ich ihr meine Meinung schonend beibringen soll, denn man braucht kein Experte zu sein, um zu erkennen, dass es sich wahrscheinlich um ein Melanom handelt, und ein bösartiges noch dazu. Sally hat es auch erkannt. Ich habe keine Ahnung, wie, aber das muss der Grund sein, warum sie so hartnäckig war.
»Ich sage ihr ständig, sie soll damit zu einem Arzt gehen«, erklärt Declan.
»Ach was, Ärzte«, unterbricht ihn Penny in scharfem Ton. »Wenn sie in der Nacht des Unfalls besser aufgepasst hätten, wären sie gleich darauf gekommen, was mit Mark los war, und hätten ihn früher operiert. Vielleicht wäre er dann nicht gestorben.«
Ich sehe, wie Declan eine Hand auf ihre Schulter legt.
»Das weißt du doch gar nicht«, erwidert er leise.
»Doch, das weiß ich.« Penny legt ihre Hand auf die von Declan.
»Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, was das für ein Fleck ist, aber Declan hat recht. Sie müssen unbedingt zum Arzt, je schneller, desto besser.«
Sally hat Penny wahrscheinlich das Leben gerettet, auch wenn sie vielleicht nicht die beste Assistenzhündin der Welt ist.
»Danke, Maz«, sagt Declan, als ich mich verabschiede. »Ich sorge dafür, dass sie so schnell wie möglich zum Arzt geht. Ohne Penny hätte ich keinen Job mehr.« Seine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Grinsen. »Entschuldigen Sie den schwarzen Humor – Berufskrankheit. Bei Tierärzten ist das wahrscheinlich nicht anders.«
Er hat recht. In diesem Beruf muss man manchmal einfach lachen, sonst würde man zusammenbrechen und weinen, heute ist mir allerdings beim besten Willen nicht nach Lachen zumute. Ich denke an Emma und Ben, die da draußen im Regen neben einem winzigen Grab stehen, und laufe zu meinem Auto. Ich fahre die Landstraße entlang, bis ich eine passende Wieseneinfahrt finde, halte an und beginne haltlos zu schluchzen. Ich weiß nicht, wie lange ich da sitze. Heiße, salzige Tränen laufen mir übers Gesicht, während ich blicklos in das Wasser hinausstarre, das in Strömen über die Windschutzscheibe rinnt, und es bricht mir das Herz.
Endlich reiße ich mich zusammen und fahre zurück zur Kirche, aber es ist zu spät. Sie sind weg. Nur ein rechteckiges Stück Erde ist noch zu sehen – in der Größe eines Kindes, was den Anblick noch schmerzlicher macht. Darauf liegen ein durchnässter brauner Teddybär mit einer gelben Schleife um den Hals und ein lila Erikazweig. Das Gras ringsum ist niedergetreten. Rechts neben dem Grab befindet sich eine graue Steinmauer, links davon die letzte Ruhestätte von Emmas Eltern, die lediglich durch einen schlichten Granitstein gekennzeichnet ist. Ich lege meine Blumen neben den Bären und weine allein inmitten der Toten, der Generationen von Familien, die in Talyton St. George gelebt haben.
Ich war so dumm … ich habe Emma im Stich gelassen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als die Uhr zurückdrehen zu können und in der Stunde für Emma da zu sein, in der sie mich am nötigsten brauchte.
»Wie war die Beerdigung?«, fragt Frances, als ich in die Praxis zurückkomme.
»Was glauben Sie denn?«, entgegne ich heiser.
»Bestimmt sehr traurig«, antwortet sie. Ich weiß, sie möchte mehr Einzelheiten hören, was Emma anhatte zum Beispiel oder welche tröstenden Worte der Pfarrer gesprochen hat, doch ich kann sie ihr nicht geben. »Ich werde ja sicher am Sonntag in der Kirche alles darüber erfahren«, fügt
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