Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
Füße.
Ich nicht, denn ich lehne lässig an der gegenüberliegenden Wand. Wenn der Körperschwerpunkt sowieso permanent weit außerhalb der inneren Mitte liegt, lehnt man sich nicht mehr freiwillig vornüber. Egal, wie neugierig man ist.
»Sandmann – alles okay?« Ich bin ehrlich besorgt. Etwas Schlimmes muss passiert sein, soviel ist mal klar. Doch der großgewachsene Anästhesist scheint für heute alles gesagt zu haben. Mit einem unverständlichen Grunzlaut steigt er über den am Boden liegenden Mob hinweg und verlässt den Kreißsaal auf kürzestem Weg Richtung OP: Schnappschlosstür raus, immer rechts halten. Und jetzt wird auch klar, wem sein ungebremster Zornesausbruch galt – das Rehlein steht, tränenüberströmt und weiß wie Schnee, vorm Küchentisch und versteht offensichtlich die Welt nicht mehr.
»Ich verstehe das nicht«, schluchzt es herzzerreißend. »Warum ist er nur so böse? Und warum muss er mich so anschreien? Ich versteh das einfach nicht …!«
Nachdem die Masse sich aufgerappelt hat, setzen wir Bambi erst einmal fürsorglich auf den nächstbesten Stuhl. O-Helga holt eine Packung Tempotaschentücher, Gloria die Mega-Monsterpackung Merci aus dem geheimen Vorratsschrank, Frau von Sinnen verteilt Rescue-Tropfen, während Malucci galant auf Bambis schmächtigem Musculus Trapezius herummassiert. Ich übernehme den Part der mütterlichen Befragung. Doch das ist gar nicht so einfach, denn wenn das Waldtier sich erst einmal in eine Sache hineingesteigert hat, dann läuft einfach alles aus ihr heraus. Wie die Niagarafälle. Und versuch die mal jemand aufzuhalten! Es dauert zehn Minuten und die geballte Manpower, einen einzigen Satz aus ihr herauszubekommen. Und weitere zehn Minuten, um die Folgesätze zu einer Geschichte zusammenzubauen, die auch irgendwie Sinn macht.
»Ich hatte doch vorgestern Dienst …«
Ja, ist klar – lass es spannend werden!
»Und weil doch Frau Müller-Kunkelfried mit Wehen im Kreißsaal lag …«
Müller-Kunkelfried, viertes Kind, zügiger Geburtsfortschritt. Nach drei Stunden Wehen komplikationslos entbunden.
»… hab ich den Dr. Sandmann angerufen und gesagt, dass wir vielleicht noch einen Kaiserschnitt machen müssen.«
»Ähm – wann hast du ihn angerufen und ihm das gesagt?« Berechtigte Frage von Dr. Malucci!
»Na, so gegen 3 Uhr früh!«
»Und – warum hast du das getan, wo das Kind doch völlig problemlos um 3 Uhr 10 geboren wurde?«
Frau von Sinnen, die Frau Müller-Kunkelfried nämlich entbunden hat, sieht jetzt aus, als würde sie ihren Kopf am liebsten gegen die nächste Tischkante hämmern. Alternativ ginge sicher auch Bambis Kopf. Auf alle Fälle bekommt FvS gerade Schnappatmung.
»WARUM rufst du die Anästhesie an, wenn doch alles IN ORDNUNG ist?«
»Ruhig, Frau von Sinnen!« Gloria tätschelt der Kollegin besänftigend den Rücken. »Gaaaanz ruhig!« Bambi muss gleich wieder weinen. Jetzt wird sie schon von den eigenen Leuten angeschrien.
»Aber – es kann doch jederzeit ein Notfall eintreten. Schulterdystokie. Oder eine schlimme Nachblutung. Dann ist es doch gut, wenn er schon informiert ist, dass da eine Schwangere …« An dieser Stelle falle ich ihr energisch ins Wort, denn ich kann gerade ganz fabelhaft nachvollziehen, warum der sonst so gutmütige Sandmann gerade einen Ausraster im XXL-Format hingelegt hat.
»Rehlein, du darfst die Gasmänner erst anrufen, wenn du auch wirklich sectionieren willst. Oder musst. Sonst nicht!«
Bambi weint jetzt lauter. Dass sie aber auch immer keiner verstehen will!
»Aber – aber ich dachte, dann kann er sich schon mal mental drauf einstellen und muss nicht so Hals über Kopf aus dem Bett fallen …«
Malucci wiehert gerade unterdrückt in Bambis schweißnassen Nacken, während die Hebammen gemeinschaftlich Schnappatmung zelebrieren.
Ich persönlich fühle mich in alte Zeiten zurückversetzt, als ich meinem damals Dreijährigen erklären musste, dass 4 Uhr früh an einem Sonntagmorgen mitnichten die richtige Zeit zum Aufstehen ist.
»Bambi – kein Schwein will sich nachts im Dienst auf irgendetwas EINSTELLEN. Und schon gar nicht mental. Alle wollen nur schlafen und fertig!« Jetzt blickt die kleine Ärztin mich zum ersten Mal direkt an, und ihre rehbraunen Augen weiten sich empört.
»Also ich fänd es schon sehr schön, wenn man mich nachts mental vorwarnen …!«
Nee, ist klar. Das Rehlein findet ganz viele Sachen sehr schön. »Ganz doll viel auf die Gebärende
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