Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
Patientinnen ab.
Das Angebot ist bunt gemischt – Frauen nach Routine-Eingriffen, Chemotherapie-Patientinnen, Schwangere mit Wehentätigkeit, sich erbrechende Schwangere, frisch entbundene Frauen und eine siebzehnte Schwangerschaftswoche mit vorzeitigem Blasensprung. Die allgemeine Stimmung ist trotz des schlechten Wetters gut, die meisten freuen sich, wenn mal jemand zum Reden vorbeikommt, und da mein Arbeitstag noch lang ist, plausche ich gerne ein wenig. Kaum hab ich meine Runde beendet und den Wagen vorschriftsmäßig abgestellt, da funkt der Funk auch schon los – einmal, zweimal, drei-, vier-, fünfmal.
HERR! Was hab ich angestellt?
Auf der Wöchnerinnen braucht jemand eine neue Venenverweilkanüle, bei den Operativen geht es um die Frage Antibiotika, ja oder nein und wenn ja, welches und wie viel davon. In der Ambulanz sind die ersten Sonntagsnotfälle eingetrudelt, und so wühle ich mich gerade Kopf voran durch einen riesigen Berg Ambulanzkarten, als plötzlich erneut das Handy klingelt und eine männliche Stimme grußlos und unglaublich unfreundlich ins Telefon rotzt.
»ICH bin jetzt da – bringen Sie ihn runter!«
Wovon um alles in der Welt redet der Kerl da nur? Und wer ist das überhaupt?
»Hallo Fremder! Hier ist Dr. Josephine Chaos! Wer sind Sie, wo sind Sie und wen soll ich bitte warum wohin bringen?«
Ich bin sehr freundlich. Weil ich so erzogen wurde. Und weil ich generell eben auch ein freundlicher Mensch bin. Was wäre die Welt doch für ein großartiger Ort, wenn alle nur halb so nett wären wie ich, denke ich verträumt vor mich hin, als der Kerl mich schon wieder von der Seite anschnauzt.
»HERRN ZWIESEL IN – DEN – OP !« Die letzten drei Wörter betont er, als wäre ich zu doof zum Atmen.
»Wissen Sie, Mann, dessen Name und Herkunft ich immer noch nicht kenne …« Gott, ich bin ja sooooo unfassbar nett und geduldig »… Isch ’abe gar keine Männer ’ier. Auch keinen Zwiesel! Isch schwör!«
Der Mann am anderen Ende der Leitung holt Luft – und dekompensiert.
»ICH BIN DER ANÄSTHESIST, UND SIE HABEN MICH WEGEN DIESES MANNES ANGERUFEN!«
Mein Chaos-Baby ist gerade wach geworden, meine Haare stehen vom Kopf weg, und ich habe Tinnitus auf dem rechten Ohr – aber ich ziehe es durch bis zum Ende. Er wird es verstehen müssen und dann …
»Hören Sie: Ich habe Sie definitiv nicht angerufen! Einen Herrn Zwiesel gibt es hier auch nicht. Aber ich schau mal, ob irgendjemand auf meiner Station eventuell einen Anästhesisten sehen möchte, dann käme ich selbstverständlich umgehend …«
»… Tuut … Tuut … Tuut …« Der Knallsack hat ernsthaft aufgelegt. Gespannt schaue ich auf die Ambulanzuhr. Wird bestimmt nicht lange dauern. Tatsächlich: zwei Minuten später klingelt mein Telefon erneut.
»Hallo – hier ist immer noch Dr. Josephine Chaos!« Ich jubiliere meine gute Laune in den Hörer und weiß, dass es gleich noch viel besser wird. Ich hab es im Urin!
»Hallo. Ich bin Dr. Rumpelstilz – habe ich Sie gerade angeschnauzt?« Rumpelstilz klingt verdammt zerknirscht.
»In der Tat, Herr Kollege, das haben Sie«, rufe ich fröhlich ins Telefon. Okay – das sind jetzt aber die Schwangerschaftshormone. So gut gelaunt kann man sonst nur auf Droge sein.
»Hören Sie …« Der Mann ist wirklich am Boden. Gleich fängt er an zu weinen! »Das tut mir sooo leid – ich hatte die falsche Funknummer … – Sie sind NICHT die diensthabende Urologin …?«
»Nein. Gynäkologin . Deshalb war ich mir auch so sicher wegen des Mannes!« Ich verschlucke mich fast vor unterdrücktem Lachen. Sein Gesicht hätte ich jetzt schon gerne gesehen.
Kurz und knapp – Rumpelstilz hat sich noch eine Million Mal entschuldigt. Und wenn ich etwas bräuchte – egal wann, egal was, könnte ich ihn gerne jederzeit anrufen.
Das ist doch mal eine Ansage!
Durch diese Geschichte ungemein erheitert, hoppele ich weiterhin froh gelaunt über meine Stationen, verteile Antibiotika, Braunülen, Tavegil und Ibuprofen, zeichne Unmengen Laborzettel ab, erneuere einen Verband, schalle zwei Frauen, bekomme ein Mittag- UND ein Abendessen, außerdem zwei Stück Kuchen sowie diverse Schokosachen geschenkt – und wundere mich sehr, dass es schon 19 Uhr ist, als ich mich zum ersten Mal wirklich hinsetzen kann. Manche Dienste gehören einfach verboten. Vor allem, wenn man hochschwanger ist.
Es ist wohl fast Mitternacht, als ich müde, geschafft und sattgegessen mein Dienstzimmer
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