Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
aus der Hand lege, habe ich ein komisches Gefühl in der Magengegend. Irgendetwas war da nicht ganz sauber. Ein komischer Geschmack im Abgang. Wie ein guter Wein, kurz bevor er kippt …
Und so kommt es, wie es kommen muss: Sagenhafte 15 Minuten später steht das alte Mädchen verschnürt und verpackt wie ein ausgesetztes Findelkind vor unserer Ambulanz, und am Horizont ist lediglich die Staubwolke der überbringenden Schwestern zu sehen. Sehr komisch – die internistische Abteilung liegt weit, SEHR weit entfernt von meiner Ambulanz. Zwei Häuser befinden sich zwischen hier und da, außerdem diverse Flure, Aufzüge – quasi eine halbe Weltreise. Die müssen geflogen sein? Mir schwant Übles …
Notfall und ich holen die kleine Person erst einmal ins Untersuchungszimmer – eine Frau, zart wie ein Vögelchen und mit einer überaus beeindruckenden Beule an der Schläfe, deren bereits leicht verblassendes, blaugrüngelb gesprenkeltes Farbenspiel sich weit über das Jochbein sowie die Nase bis zur gegenüberliegenden Wange zieht.
»Frau Alt? Hallo, Frau Alt! Ich bin Dr. Josephine, die Gynäkologin – wie geht es Ihnen?« Freundlich lächelnd blickt Frau Alt mich an.
»Ja?!? …«
»Frau Alt – wissen Sie, wo Sie sind?« Frau Alts Lächeln leuchtet umgehend eine Spur heller.
»Jaaaaaaaa?!?! …«
»Na, dann erzählen Sie mir doch mal, wo Sie hier sind!«
Das Strahlen der Sonne ist Dunkelheit gegen das, was sich gerade auf Frau Alts Gesicht abspielt.
»Jaaaaaaaaaaaaaa!«
Großartig – man hat mich verschaukelt. SCHWEINE!!!!!!!
Während Notfall die kleine Frau vorsichtig auf die Untersuchungsliege packt, werfe ich einen kurzen Blick auf die Papiere der Patientin und bekomme vor lauter Wut postwendend einen mittelschweren Tobsuchtsanfall. Frau Alts Krankenakte ist in etwa so umfangreich wie das Telefonbuch von Chicago, die Medikamentenliste besteht aus sage und schreibe zwei Din-A4-Seiten, beidseitig beschriftet, und da stehen ernsthaft so nette Dinge wie blutverdünnendes Medikament und Operation-damit-leider-nicht-möglich-Pillen drauf. Obendrein hat Kollege Süßholz mir noch den erlittenen Herzinfarkt der Patientin unterschlagen, eine damit zusammenhängende, ausgeprägte Herzschwäche sowie die umfangreiche Hirnblutung, die den Krankenhausaufenthalt überhaupt erst nötig gemacht hatte. Und ich möchte auch gar nicht über die drei Dutzend anderen Grunderkrankungen reden, die – jede für sich genommen – ausreichen, eine Elefantenherde ohne Umwege ins Jenseits zu befördern.
»Ich fass es nicht, Notfall – die halten uns echt für bescheuert! Die Frau kann doch kein Mensch operieren wollen? Die überlebt ja noch nicht einmal die Anästhesie! Dieses angeblich vergrößerte Eierstöckchen ist doch wirklich ihr kleinstes Problem!« Notfall klopft mir beschwichtigend die Schulter.
»Willste ’nen Kaffee? Das hilft!«
Ja – aber nur, wenn man nicht schwanger ist! Ich schüttele ablehnend den Kopf, packe wütend meine amerikanische Telefonbuch-Krankenakte zusammen und mache mich damit zu Chefarzt Dr. Böhnlein auf, immer noch wild schnaufend und mit flott aus der Nase aufsteigendem Rauch.
»Dr. Josephine? Sie dampfen aus der Nase? …«
»Chef – die Internisten haben uns vergackeiert!!!«
»Oh – möchten Sie drüber reden?« Fürsorglich schiebt er mir einen Stuhl hin.
Na – worauf du Gift nehmen kannst! Ich breite meine Geschichte also in HDTV und Dolby-Digital-Sound vor ihm aus, und nachdem ich mir meinen Frust von der Seele geredet habe, tätschelt er mir väterlich die Schulter und brummt gutmütig zwinkernd: »Dann schicken wir sie diesen Internisten jetzt einfach postwendend zurück!«
WAAAAAAAAAAAASSSS? – welch großartiger Gedanke! Wir lassen uns nicht verschaukeln, nein – WIR NICHT!!!
Ich zücke also umgehend das Diensthandy und telefoniere den Kollegen Süßholz an, welcher freundlicherweise postwendend am andere Ende der Leitung abnimmt.
»Gynäkologie, Chaos hier! Wir müssen reden!«
Ohne große Umwege erklär ich diesem kleinen Süßholzraspler, dass es uns nicht möglich sei, unseren Job anständig zu erledigen, solange er den seinen nicht beendet habe. Und dass wir Frau Alt auf direktem Wege nach Intern-Town zurückschicken würden. Echt jetzt! Der Kollege nimmt es erwartet unsportlich. Und ist plötzlich auch kein bisschen nett mehr zu mir.
»Hören Sie, Kollegin – das geht so nicht. Wir haben Ihnen diese Patientin ganz offiziell
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