Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
Josephine, alles wird gut!
»Die Patientin gibt jetzt an, sie habe Wehen!«
Ich möchte jetzt gerne ein bisschen weinen. Laut oder leise, völlig egal. Warum um alles in der Welt habe ich nur nichts Anständiges gelernt?
Wir spielen dieses Spiel noch sagenhafte drei Stunden weiter. Der weibliche Freud ruft mich an, hat eine Frage, ich beantworte sie. Wir diskutieren ein bisschen darüber. Sie versteht. Legt auf. Ruft wieder an. Unglaubliche zehn Mal in drei Stunden. Und ich beginne den akuten Verdacht zu hegen, dass sie gar keine Ärztin ist, sondern eine psychiatrische Patientin, welche im Rahmen einer großangelegten Meuterei das gesamte medizinische Personal überwältigt hat und sich die Nacht nun mit bösartigen Streichen vertreibt.
Um 4.30 Uhr bin ich endlich weichgekocht.
»Gut – dann schicken Sie mir die Patientin um Himmels willen!«
Und das macht sie dann auch. Da die Frau aber weiterhin schwer am Randalieren ist, muss ich warten, bis ein Zusatz-Aufpasser-Team inklusive Polizeischutz zusammengetrommelt und die Frau vorstellungsbereit ist. Was dann um 6 Uhr der Fall ist.
Dann kommt sie auch gleich – und kotzt zuallererst das Waschbecken meiner Ambulanz voll! Randvoll! Zehn Minuten später stelle ich fest, dass Frau Abusus – oh Wunder! – tatsächlich schwanger ist, wahrscheinlich sechzehnte Woche, und gegen 6.30 Uhr geht es postwendend zurück in die Psychiatrie.
Frau Dr. Bleuler ruft mich bis zur Dienstübergabe um 8 Uhr noch weitere drei dutzend Mal an – bis ich beinahe selbst ein Fall für die geschlossene Abteilung bin!
Neunter Schwangerschaftsmonat
Morgens um acht ist die (OP-)Welt noch in Ordnung
»Was um alles in der Welt treibst du da, Josephine?«
Es ist halb sieben in der Früh, und der Gatte hat mich gerade auf frischer Tat ertappt. Platt wie eine Flunder – okay, schwangere Flunder – auf dem Rücken im Badezimmer liegend. Ein selbst im unkonventionellen Hause Chaos kein ganz alltäglicher Anblick.
»Ich versuche, diese blöde Hose zuzubekommen!« Zähneknirschend zerre ich am widerspenstigen Bund meiner Lieblingsjeans herum, die gerade gestern noch hervorragend unter dem täglich monströser werdenden Babybauch zu schließen waren.
»Ich begreife es nicht! Warum kaufst du dir nicht einfach eine Hose, in die du auch in der siebenunddreißigsten Schwangerschaftswoche noch hineinpasst? Dafür hat der liebe Herr die Umstandsmode doch geschaffen!«
Och nööö – nicht schon wieder dieses Thema!
»35 plus 6 Schwangerschaftswochen! Das ist noch nicht ganz die Siebenunddreißigste.« Ich zerre noch wilder am Hosenbund herum. Dann, endlich …
»Yeah!« Triumphierend strecke ich dem Mann beide Arme entgegen: »Bitte aufwärts!« Mit ordentlichem Schwung hievt er mich zurück auf die Füße. Das Duschen hätte ich mir heute Morgen auch sparen können, ich bin jetzt schon klatschnass geschwitzt.
»Josephine – ich liebe dich sehr. Aber wenn du nicht bald mit Böhnlein sprichst, werde ich dich spätestens am nächsten Montag an der Haustür festketten, ist das klar?«
»Sir, yes, Sir. Glasklar!«
»Das ist nicht witzig!«
»Nein, das ist ein Zitat aus ›A Few Good Men‹!«
»Das weiß ich! Mir ist aber gerade nicht nach Filmzitaten!«
Herr Chaos grummelt. Und das schon die zweite Woche. Dauer-Gegrummel ist sonst gar nicht seine Art, ganz im Gegenteil: Sein Langmut und seine stets vorbildlich gute Laune sind fast schon legendär. Aber ich weiß, dass er sich einfach Sorgen um mich und das Chaos-Baby macht. Dass wir uns übernehmen mit all den Diensten und der Arbeit im OP. Denn eigentlich sollten wir beide seit Woche 34 + 0 unseren wohlverdienten Mutterschutz genießen. Füße hochlegen und so. Bisschen Babywäsche waschen. Stillkissen kaufen. Aber was ist? Ich habe es noch nicht einmal fertiggebracht, den Chef über meine Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Und war obendrein noch so blöd, mir einen allerletzten (ich schwöre!) Samstagsdienst aufbrummen zu lassen. Also morgen. Aber heute, ganz sicher, werde ich es dem Chief mitteilen. Und der wird das mitnichten lustig finden, so viel steht jetzt schon mal fest.
Bevor ich jedoch zur Beichte gehe, darf ich heute noch ein letztes Mal zur Assistenz in den OP. Und wenigstens dort ist morgens um acht die Welt noch in Ordnung.
Doch bevor ich den Operationstrakt betreten kann, muss erst noch die übliche Vorabroutine heruntergespult werden, ohne die kein Mensch die geheiligten Hallen je betreten darf:
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