Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
drehen wir Gynies, wann immer Kocher im Nachbar-OP seiner Arbeit nachgeht, unsere Musik laut genug auf, so dass er auch ein bisschen was davon hat. Das übrige OP-Personal nimmt es dankbar zur Kenntnis, und Kocher selbst sieht man seither in den kurzen Pausen zwischen Auf- und Ablagern der Patienten auch schon mal heimlich in unseren Saal huschen und für fünf Minuten neben dem Anästhesisten Platz nehmen. Dort zwitschert er sich dann – bei geschlossenen Augen rhythmisch mit dem Kopf wippend – seinen Kaffee rein, um kurz darauf für weitere trostlose, weil musikfreie Stunden bei einem geplatzten Darm oder anderen chirurgischen Katastrophen den Helden zu geben.
Um 8.10 Uhr betritt – pünktlich wie immer – der Chefarzt der Gynäkologie den OP-Saal V. Um 8.10 Uhr und zehn Sekunden schießt er – ebenfalls wie immer – schnurstracks auf den sich warm laufenden iPod zu, umrundet gekonnt den kleinen, dicken Anästhesie-Pfleger Jan-Uwe, täuscht OP-Oberschwester Otti rechts an, schlängelt sich dann links am Monitor vorbei, um kurz vor der iPod-Station durch Igor, unseren sibirischen 150-Kilo-OP-Pfleger, gerade noch rechtzeitig abgefangen zu werden.
»Sorry, Chäf«, tönt Igors warmer Bass. »Plälist schon färtig!«
Böhnlein lässt die Öhrchen hängen. Dabei haben wir ihm schon mehrfach und durchaus eingängig zu verstehen gegeben, warum er einfach nicht zum Zuge kommt. Dass nämlich das komplette OP-Team über kurz oder lang suizidal in diverseste Klemmen, Scheren und Skalpelle springen würde, wäre es gezwungen, sich den ganzen Tag lang deutschen Schlager oder amerikanische Country-Musik anzuhören. Geknickt, weil geschlagen trottet der große Mann zum Waschsaal zurück, packt seinen kleinen, roten Lieblings-iPod, der noch nie zum Einsatz kam, leise seufzend aufs Ablagebrett und wäscht sich betrübt steril.
»Ächt jetzt – ein bisschen leid tut er mir schon!«
Während Hermine mir in die sterilen Handschuhe hilft, summt Igor leise drohend »Ein bisschen Friedän, ein bisschen Freudä …!« in mein Ohr. Da ist es dann auch schon wieder vorbei mit dem Mitleid. Soll der Chef ruhig eine Runde zu Coldplay weinen, dann fühlt er sich bestimmt gleich wieder besser!
Die erste Operation des heutigen Tages ist eine Bauchspiegelung, auch Laparoskopie genannt, und unter den heroischen Fanfarenstößen von Queen und dem wummerndem Beat von Linkin Park pulen wir fröhlich im Takt zwei verwelkte Eier aus einem Meer geblähter Darmschlingen.
Böhnlein ist ein schneller, routinierter Operateur, allerdings hab ich hin und wieder das Gefühl, dass er den Teil der im Bauch befindlichen Instrumente deutlich besser unter Kontrolle hat als den Part, welcher sich außerhalb seines OP-Gebietes befindet.
»Chefarzt, bei allem Respekt, aber Sie hätten mir gerade fast aufs Auge geschlagen!« Böhnlein räuspert sich verlegen.
»Oh, Frau Kollegin. Das war ganz sicher nicht meine Absicht!«
»Das möchte ich doch schwer annehmen!«
Zur nachfolgenden Laparoskopie schmettern alle »We are young«, während ich unter seiner fürsorglicher Aufsicht eigenständig eine Riesen-Zyste zerlegen und anschließend fachgerecht entsorgen darf.
Und Punkt drei auf der heutigen OP-Liste, ein kleiner Eingriff, viel Blut, viel Spaß, wird mit REM untermalt.
Chefarzt Dr. Kocher hat seinen Kaffee-Gastauftritt bei einer Senkungs-OP unter Robbie Williams- Beteiligung, und mit U2 neigt sich der Tag bei einer gepflegten Gebärmutterentfernung seinem Ende entgegen.
Nachdem um 15.15 Uhr die letzte Patientin zugemacht, die Playlist gestoppt und der Chef schon mal gegangen ist, verabschiede ich mich noch von Lieblings-Hermine, Igor und dem frisch aus dem Dornröschenschlaf erwachten Anästhesie-Team, die jetzt wieder geschäftig an ihrem Spielzeug herumschrauben, um die noch immer schlafende Patientin ebenfalls wach zu bekommen. Und während ich an Kochers ruhig daliegendem OP-Saal vorbeilaufe, Oberschwester Otti von Ferne zuwinke und mich über diesen schönen, runden Tag am zweitschönsten Arbeitsplatz der Welt freue (nichts geht über den Kreißsaal), fühle ich mich, als könnte ich ganze Urwälder ausreißen. Endorphinrausch ist schon etwas Großartiges.
Erst im Umkleideraum, nachdem ich meine vom langen Stehen müden Beine endlich von den viel zu engen, viel zu langen Stützstrümpfen befreit habe und mir dann doch ein wenig schwerfällig das verschwitzte OP-Hemd über den Kopf ziehe, wird mir plötzlich wieder schlagartig
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