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Dante Valentine 02 - Hoellenritt

Dante Valentine 02 - Hoellenritt

Titel: Dante Valentine 02 - Hoellenritt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilth Saintcrow
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Psionin zu sein, nehme ich an. Die Magitechniken, mit denen man das Erinnerungsvermögen trainiert, sind notwendig und unbarmherzig. Ein derart geschultes Gedächtnis kann jede Einzelheit einer Szene, eines magischen Zirkels, eines Runenkanons oder einer Textseite abrufen. Das ist unumgänglich, wenn man magitechnische Wunderwerke vollbringt, wo alles auf Anhieb klappen muss, aber gnadenlos, wenn etwas passiert, das man lieber vergessen möchte.
    Das Prickeln in meiner Schulter hatte sich glücklicherweise wieder gelegt. Hier war nicht viel los, die meisten Passanten verschwanden in dem kleinen Lebensmittelladen und kamen mit Plastaschen voller Alkohol oder Zigaretten aus synthetischem Hasch wieder heraus. Ich stand einfach da, nah an der Wand, wo ich niemandem im Weg war, und verhielt mich ganz ruhig, damit die Erinnerung klar und deutlich in mir aufsteigen konnte.
    Er war mit mir zu dem Buchladen gegangen, ein besonderes Vergnügen, und das weiche Metall meines Kontrollhalsbands hatte sich an jenem außergewöhnlich sonnigen Frühherbsttag etwas weniger schwer angefühlt. In der Luft hing der frische Zimtgeruch der trockenen Blätter, und der Himmel erstrahlte in jenem unglaublich klaren Blau, das er nur im Herbst annimmt – jenem Blau, das einem fast in den Augen wehtut und in dem man am liebsten ertrinken möchte. Lewis hatte die Brille auf seiner riesigen Nase nach oben geschoben, und so spazierten wir zusammen durch die Gegend. Am Anfang, als ich noch ein kleines Mädchen war, hatte ich stets seine Hand gehalten, aber in den letzten Jahren war ich immer gehemmter geworden. Ich hatte mich danach verzehrt, ihm zu erzählen, wie schrecklich es in der Schule zuging, aber ich konnte einfach nicht den Mut dazu aufbringen.
    Also gingen wir die Straßen entlang, und Lewis fragte mich nach dem letzten Buch aus, das ich gelesen hatte, eine Cicero-Ausgabe, die er mir geliehen hatte. Dann erzählte er mir von dem Aurelius, den ich bekommen würde, wenn ich am Ende des Schuljahrs in meiner Abschlussprüfung in magischer Theorie gut abschnitt. Und wie hat dir Ovid gefallen?, fragte er voller Begeisterung. Er zog sich nicht wie ein Sozialarbeiter an, sondern trug ein rotes T-Shirt und Jeans, und das war auch etwas, wofür ich ihn liebte. Von ihm hatte ich meinen Namen und meine Liebe zu Büchern, und noch mit zwölf Jahren hatte ich mich wilden Fantasien hingegeben, ich würde eines Tages herausfinden, dass Lew eigentlich mein Vater war und nur auf den richtigen Moment wartete, es mir zu erzählen.
    Ich habe ihn gern gelesen, antwortete ich, aber der Mann war besessen von Frauen.
    Das sind die meisten Männer. Lewis konnte die seltsamsten Dinge komisch finden, aber die meisten Witze verstand ich erst, als ich erwachsen wurde. Solange ich ein Kind war, hatte ich mitgelacht, weil ich glücklich war, dass er sich mit mir wohlfühlte, und mich in der Wärme seiner Anerkennung gesonnt.
    Ich hatte gerade antworten wollen, als ein Mann nervös zitternd und mit weit aufgerissenen Augen um die Ecke stolperte. Er stank nach Clormen-13 – ein Chillfreak, der verzweifelt nach seiner nächsten Dosis gierte. Sein Blick blieb an der antiken Uhr hängen, die oberhalb von Lewis’ Datband an seinem Handgelenk glitzerte und aussah, als könne man im Pfandhaus gutes Geld dafür bekommen. Verwirrung, Chaos und ein Messer – Lewis schrie, ich solle weglaufen, aber meine Füße waren wie angewurzelt beim Anblick des Messers, in dem sich das Sonnenlicht spiegelte und mir wie ein heißer Pfeil ins Auge stach. Lauf, Danny! Los, lauf!
    Meine Augen fühlten sich heiß und verklebt an. Der Nieselregen hatte mein Haar und meine Jacke durchweicht. Ich stand genau an der Stelle, an der ich gestanden hatte, bevor ich ihm gehorcht hatte und schreiend davongerannt war, während der Chillfreak über Lewis herfiel.
    Natürlich hatten die Bullen das Ungeheuer erwischt, aber die Uhr war weg, und das Chill hatte ihm nur noch so wenige funktionierende Hirnzellen gelassen, dass er kaum mehr seinen eigenen Namen wusste, geschweige denn, was er mit dem alten Krempel gemacht hatte. Und Lew mit seinen Büchern, seiner Liebe und seiner Güte hatte mich verlassen und war in das unwirtliche Land des Todes gereist, jenes Land, das mir damals noch fremd war, obwohl ich schon die Wege zu seinen Grenzen gekannt hatte.
    Wie jedes Jahr legte ich die Blumen auf dem nassen Bürgersteig nieder. Der Blutsteinring am dritten Finger meiner linken Hand glühte feucht auf, und ein

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