Dante Valentine 04 - Suendenpfuhl
trank Chai, und zwar aus einem neuen, sonnengelben Becher. Das war ungewohnt. Normalerweise war Sonnengelb überhaupt nicht ihre Farbe.
Oh das wohl kommt, wenn man ein Kind hat? Und wo ist das Kind, das mit dem Spielzeug spielt, Gabe, und warum hast du mir nichts erzählt? So etwas gehört doch zu den besonderen Ereignissen im Leben. Ich wäre gern dabei gewesen.
Sie hatte mir nichts erzählt, nicht mal eine Andeutung gemacht. Warum? Klar, ich hatte ja auch keine Andeutung gemacht, dass ich mit einem Dämon zusammenlebte, der aus Asche auferstanden war. Gleicht ein Geheimnis das andere aus?
Sie lehnte sich gegen den Frühstückstresen und legte die Hände um den Teebecher. Die zarte Haut auf ihren Handrücken war trocken wie Pergament, und wieder spürte ich dieses mulmige Gefühl. Ich schluckte.
„Keine Fragen?“ Gabe lächelte. „Nein, du würdest nie eine verdammte Frage stellen, habe ich recht? Du würdest immer warten, bis ich es dir erzähle, und wenn ich nichts sage, würdest du es auch mit keinem Wort erwähnen. Bei Hades, ich hatte ganz vergessen, wie es ist, mit dir zu reden.“ Sie drehte sich zur Seite, ging durch die Küche und holte etwas von dem vollgestellten Arbeitstisch. Dass alles so unordentlich war, war ebenfalls neu. Ihr Haus war früher immer sauber und ordentlich gewesen. In der Spüle stapelte sich das Geschirr, am Ende des Frühstückstresens lagen ein paar Holomagazine herum, und es war auch schon länger nicht mehr Staub gewischt worden.
„Angenehm, will ich doch hoffen.“ Genau so etwas Nichtssagendes hätte Japhrimel auch von sich geben können.
„Manchmal.“ Sie warf mir zu, was sie geholt hatte. Es war eine Polizeiakte. „Ich will, dass du mir hilfst, denjenigen umzubringen, der das hier getan hat.“ Ihre Stimme klang tonlos, und mir wurde klar, dass sie nur mit äußerster Willensanstrengung die Beherrschung bewahrte.
„In Ordnung“, antwortete ich, noch während ich die Akte öffnete. Geh davon aus, dass sie bereits tot sind, Gabe.
Ich hätte auf jeden Fall zugestimmt, weil ich ihr vertraute. Und ich hätte auch zugestimmt, nachdem ich das erste Blatt in dem Aktenordner gesehen hatte – ein Hochglanzlaserdruck, auf dem eine völlig zerfetzte Leiche zu sehen war, die auf einem weißen Untergrund lag, umgeben von Glasscherben, die in einer unvorstellbar großen Blutlache schwammen. Was mir allerdings die Luft abschnürte, war das Gesicht über dem zerstörten Körper.
Wieder flammte das Mal an meiner Schulter auf und riss mich aus meinem Schockzustand. Ich schluckte, und was ich da runterschluckte, schmeckte nach menschlicher Galle. „Eddie“, flüsterte ich.
Es war Eddie, und er war unbestreitbar tot. Meine langjährige Erfahrung mit Tatorten half mir, die Einschusslöcher unter professionellen Gesichtspunkten zu betrachten. Projektilwaffen -eine gute Methode, um einen aufgebrachten Skinlin aus dem Verkehr zu ziehen. Dann warf ich einen Blick auf sein zotteliges Haar, das nach hinten verschobene Kinn, die Wangenknochen und die Bartstoppeln. Er hatte sich vor seinem Tod mindestens einen Tag lang nicht rasiert. Falls das Alter ihn gezeichnet hatte, war davon auf diesem Bild glücklicherweise nichts zu sehen.
„Wann ist das passiert?“ Der geschwungene schwarze Becher schlug gegen den Tisch. Mühsam riss ich mich zusammen.
„Vor zehn Tagen.“ Ihre Hände schlossen sich fester um ihren Becher. Die unsagbare Wut, die sie verströmte und wie einen Schutzschild gegen den Schock des Verlusts benutzte, war fast schon mit Händen zu greifen.
Damit kannte ich mich aus. In meiner Arbeit als Nekromantin hatte ich diese Reaktion häufig bei den Angehörigen von Verstorbenen beobachten können, und auch mir selbst war es schon so ergangen, als zunächst Doreen und später Jace gestorben waren. Zwei Ereignisse, die sich anfühlten, als wären sie ganz anderen Menschen zugestoßen, zwei völlig unterschiedlichen Danny Valentines. Und dann hatte ich fast ein Jahr lang wie wahnsinnig um Japhrimel getrauert, der als Asche in einer Urne geruht hatte. Ich konnte mich noch gut an den Abgrund aus Einsamkeit und tiefster Verzweiflung erinnern und daran, wie der Verstand sich an dem Wort „fort“ versuchte, nachdem „tot“ zu endgültig klang. Und das, obwohl der Tod mein Beruf war.
Wir alle glauben, wir seien unsterblich – sogar wir Nekromanten. Dabei sollten gerade Nekromanten es besser wissen. Und doch ist es nicht so.
„Da gibt es noch etwas, bevor du zustimmst“,
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