Daphne - sTdH 4
Aussicht auf eine Verbindung von Daphne mit Mr. Garfield offensichtlich
eine animierende Wirkung auf sie hatte.
Deshalb war sie mit nach London gekommen. Minerva war immer noch in Brighton,
um ihrem zweijährigen Sohn Julian die gute Seeluft zukommen zu lassen, und so
war die ganze Familie Armitage in das Haus ihres Gatten, Lord Sylvester
Comfrey, übergesiedelt.
Diana
jammerte und klagte ständig, daß sie das Stadtleben unerträglich fand und
London abscheulich roch.
Die kleine
Frederica verschlang ein Buch nach dem anderen und konnte nur selten dazu
überredet werden, ins Freie zu gehen.
Der Pfarrer
war von Zeit zu Zeit an Mr. Garfields Haus vorbeigegangen, in der Hoffnung,
ein Anzeichen dafür zu entdecken, daß dieser Gentleman zurückgekehrt war, aber
bis jetzt war er noch nicht eingetroffen.
Annabelle
interessierte sich wenig für die Möglichkeit ihrer Schwester, eine reiche
Heirat zu machen. Sie spielte den ganzen Tag mit Baby Charles und schien ihren
Mann kaum zu beachten.
Und dann
war da noch der schöne Mr. Archer. Der Pfarrer hatte diesem wie aus dem Ei
gepellten jungen Mann mehrmals äußerst deutlich zu
verstehen gegeben, daß er ihn nicht als willkommenen Zuwachs der Familie
Armitage betrachte, aber Mr. Archer hatte den Pfarrer jedesmal nur
liebenswürdig angelächelt und etwas ziemlich Nichtssagendes geantwortet, das
zeigte, daß er gar nicht zugehört hatte.
Ja – und
Daphne selbst? Noch nie war sie so schön gewesen, aber auch noch nie so leblos.
Was beweist, dachte der Pfarrer wütend, daß
Cyril Archer nichts dazu beiträgt, ihre Stimmung zu heben. Es war so gut wie
sicher, daß sie den Mann nicht liebte.
Darin irrte
er sich. Denn Daphne hatte sich eingeredet, daß sie Mr. Archer liebte; sie
hatte es sich mit solcher Intensität eingeredet, daß es beinahe wahr war. Aber
sie achtete wie früher darauf, daß sie nie die Kontrolle über ihr Verhalten und
ihr Aussehen verlor. Wenn sie nur hartnäckig das Ziel verfolgte, Mr. Archer zu
heiraten, und nicht nach rechts und links schaute, dann würde schon alles
gutgehen. Sie und Mr. Archer konnten sich irgendwo, wo es hübsch war,
einrichten und einander ausgiebig bewundern. Mr. Archer schien nicht von ihr zu
erwarten, daß sie über irgend etwas ernsthaft nachdachte, und wäre wohl äußerst
beunruhigt gewesen, wenn Daphne irgendwelche Anzeichen von Temperament oder
Intelligenz gezeigt hätte. Daphne fühlte das ganz unbewußt, und da sie selbst
Mr. Archers gelassene und schöne Dummheit anziehend fand, war sie sehr wohl in
der Lage, den Wert ihrer eigenen Anziehungskraft auf ihn richtig einzuschätzen,
und hütete sich vor allem, was ihre Attraktion beeinträchtigt hätte.
Sie war froh,
daß der beunruhigende und aufregende Mr. Garfield weggeblieben war. Von Zeit
zu Zeit machte sie sich um Bellsire und Thunderer Sorgen und stellte sich vor,
daß sie schlecht behandelt, angeschrien und geschlagen wurden. Manchmal phantasierte
sie, daß sie herausfinden würde, wo Mr. Apsleys Zwinger war, und daß sie die
Hunde in einer dunklen Neumondnacht befreien würde.
Erst heute
nachmittag hatte Mr. Archer sie besucht und auf eine Ausfahrt in den Park
mitgenommen. Ihr Vater war nicht zu Hause gewesen, und ihre Mutter fand nichts
dabei, dem offenbar harmlosen Mr. Archer ihre Tochter anzuvertrauen. Es war
ein netter und anspruchsloser Ausflug gewesen, und sie hatten viel Bewunderung
erregt. Mr. Archer hatte eine Ausstrahlung wie ein junger Gott, mit seinen
hellblonden Locken, die ihm in die hohe Marmorstirn fielen. Seine Augen waren
von einer tiefen und intensiven Bläue, und sein schön geformter Mund kräuselte
sich ständig zu diesem angedeuteten Lächeln, das man von klassischen Statuen
kennt – und es war auch gewissermaßen versteinert, da Mr. Archer dieses Lächeln
so lange vor dem Spiegel geübt hatte, bis es perfekt war.
Die schöne
geschwungene Form seiner Augenlider trug ebenfalls zu seinem klassischen
Aussehen bei. Sein einziger Nachteil war, daß er leicht hohlbrüstig war. Aber
das glich er durch ein wat tiertes Futter aus, und da Daphne ihn noch nie ohne
Rock gesehen hatte, wußte sie nichts von diesem Fehler.
Das
Erscheinen von Mr. Garfields Diener hatte Lady Godolphin in helle Aufregung
versetzt, denn sie hatte tatsächlich eine Ersatzperson gefunden, die Mr.
Garfields Platz beim Abendessen einnehmen sollte, nämlich den schönen Mr.
Archer. Sie wußte, daß sich Mr. Armitage darüber ärgern würde, aber sie empfand
Mr. Archer nur als
Weitere Kostenlose Bücher