Daphne - sTdH 4
gesagt, daß er am nächsten Tag ihren Vater aufsuchen wolle.
Harte,
zornige Wellen schlugen an den Strand, und über dem Wasser schrie eine Seemöwe.
In Brighton
war die Saison vorüber. Die Leute, die immer nach der Mode gingen, hatten schon
gepackt und waren nach London zurückgekehrt, um sich auf die Anstrengungen der
Kleinen Saison vorzubereiten. Sogar Mr. Apsley war abgereist und pflegte seinen
wunden Unterkiefer – eine Erinnerung daran, daß es nicht angebracht war, sich
noch einmal in die Angelegenheiten seines Freundes zu mischen.
Warum nur
war sie ohne ein Wort verschwunden? Mr. Garfield betrachtete dieses Problem
immer wieder von allen Seiten. Hatte sie der dämlichen Schauspielerin, die
Edwin angeheuert hatte, doch geglaubt?
Es war
klar, daß sie ihre Meinung geändert hatte. Dabei war er sich so sicher gewesen,
daß er ihr nicht gleichgültig war.
Zu spät
bemerkte er, daß Colonel und Mrs. Cartwright ihn anstarrten. Sie waren späte
Ankömmlinge in dem Badeort, da der Colonel sich von seinem Arzt hatte
überzeugen lassen, daß die Seeluft seine Milzschmerzen lindern könnte.
»Guten Tag,
Garfield«, begrüßte ihn der Colonel. »Ich bin ganz überrascht, Sie noch hier
anzutreffen. Wenn wir noch länger hierbleiben, werden wir als rückständig
bezeichnet.«
»Der
Prinzregent befindet sich immer noch unter uns«, bemerkte Mr. Garfield.
»Ach ja, in
der Tat«, sagte der Colonel, drehte sich um und salutierte zum Königlichen
Pavillon herüber.
»Ich war ja
so überrascht über die Nachrichten in der Zeitung heute morgen«, sagte Mrs.
Cartwright. »Erinnern Sie sich an Miss Daphne Armitage? Die junge Dame, die bei
Lady Godolphin das Dinner kochte?«
»Ja«, sagte
Mr. Garfield scheinbar gleichgültig.
»Sie wird
Mr. Cyril Archer heiraten, wissen Sie, diesen ziemlich dummen jungen Mann. Sehr
gutaussehend, natürlich, aber ihre Schwestern haben sich einen Namen gemacht,
weil sie intelligente und reiche Männer geheiratet haben.«
»Ich habe
das Gerücht schon gehört.« Mr. Garfield blickte mit einem leichten Zucken
seiner breiten Schultern auf die See hinaus, als ob er die Angelegenheit
abschütteln wolle.
»Aber es
ist kein Gerücht. Es steht in allen Londoner Zeitungen, und in den Brightoner
auch. Glauben Sie, sie hat eine weise Entscheidung getroffen? Ich habe mich
nie zu dem jungen Mann hingezogen gefühlt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ja, ich
weiß, was Sie meinen.« Mr. Garfield klang unaussprechlich müde. Er hob die
Hand kurz an den Rand seines Biberhuts und schlenderte die Promenade hinunter.
Sie ist wie
all die anderen, dachte er und spürte dabei, wie der Ärger in
ihm hochstieg. Heiratet Archer! Daphne Armitage war doch dumm und eitel. Er
hatte geglaubt, unter der zur Schau gestellten Oberflächlichkeit Aufrichtigkeit
und Mut und Anstand entdeckt zu haben. Was für ein Narr er gewesen war! Er war
von einem Paar großer Augen, einer schlanken Gestalt und mitternachtsschwarzem
Haar verhext worden.
Er
erinnerte sich daran, daß er in London Geschäfte zu erledigen hatte, die seine
ganze Energie in Anspruch nehmen würden. Mr. Garfield kam aus einer alten
Adelsfamilie, doch hatte er sich vor etwa zehn Jahren – kurz nach seinem
einundzwanzigsten Geburtstag – in die Welt des Handels gestürzt und ein
blühendes Unternehmen aufgebaut, das Güter aus dem Fernen Osten importierte.
Die City of
London übte mehr Faszination auf ihn aus als das West End.
In letzter
Zeit hatte er seine Pflichten arg vernachlässigt... und alles nur wegen eines
dummen kleinen Mädchens.
Sechstes
Kapitel
Als die
Kleine Saison
schließlich begann, war der Glanz Daphnes, die in Brighton hell wie ein Komet
am gesellschaftlichen Himmel geleuchtet hatte, bereits wieder erloschen.
Die Leute,
die eine sehr lange und sehr langweilige Oper besucht hatten, nur um einen
kurzen Blick auf das neueste Armitage-Wunder zu erhaschen, äußerten sich tief
enttäuscht.
Sie war wie
eine Wachspuppe. Mr. Archer glich – wie jedermann bereits wußte – einem
Geschöpf von Madame Tussaud. So viel Schönheit, so ging die Rede, leider fehlt
der Geist, um ihr Leben einzuhauchen.
Daphne war
wie früher gegen die grausame Welt durch sorgfältig gewählte Kleidung und
maskenartiges Aussehen gewappnet. Selten lächelte sie oder weinte sie oder
zeigte überhaupt eine Bewegung. Die herzlosen Leute scherzten, daß man nur
dankbar sein könne, daß sich zwei so schöne, hohlköpfige Wesen gefunden hatten
und es damit
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