Daphne - sTdH 4
rief Annabelle aus. »Du hast herausgefunden, wer sie ist?«
Der Pfarrer
schloß die Augen. Er hätte liebend gern gelogen, aber sein Gewissen ließ es
nicht zu.
»Es ist
Bettys Baby«, sagte er leise. »Das Kind von unserem Mädchen Betty.«
»Aber warum
hast du uns in dem Glauben gelassen, daß du das Baby aus einem Findelhaus
hast?« jammerte Annabelle. »Ich habe mich so bemüht, das arme Kerlchen zu
lieben, als ob es mein eigenes wäre, aber Charles schreit und schreit. Er weiß
wahrscheinlich, daß seine Mutter ihn vermißt.«
»Sie scheinen
allen viel Kummer bereitet zu haben«, sagte der Marquis, »aber ich gestehe, daß
ich erleichtert darüber bin, daß Charles zu seiner Mutter zurückkehrt.
Annabelle hat sich so schrecklich benommen. Ich wußte nicht, was sie so
verändert hat. Aber sie hat mir neulich nachts gesagt, daß sie eine so gute
Mutter wie Minerva sein wollte, und je mehr das Baby schrie, um so mehr hat sie
sich für eine Versagerin gehalten. Wir haben uns beide, Annabelle und ich,
gegenseitig sehr weh getan.«
Er legte
seinen Arm um seine Frau und zog sie liebevoll an sich. »Wir haben entdeckt,
meine Annabelle«, sagte er sanft, »daß wir uns mehr lieben als je zuvor. Bricht
es dir das Herz, wenn Betty ihren Jungen zurückbekommt?«
Annabelle
errötete und schüttelte den Kopf. »Ich habe mich so schuldig gefühlt. Ich
dachte, das Kind wird mich nie lieben, und ich habe mich so unfähig als Mutter
gefühlt und deshalb auch als Frau. Wie konntest du Betty nur überreden, so
etwas zu tun, Papa? Das Kind ist doch sicherlich von John Summer. Ich hatte gedacht,
du hättest dafür gesorgt, daß sie heiraten.«
»Sie sind
jetzt verheiratet«, sagte der Pfarrer ernst. »Betty ist draußen. Ich hole sie
rein.«
Der Marquis
und Annabelle schauten sich an. »Ich hoffe, es nimmt dich nicht zu sehr mit,
mein Liebling«, sagte er.
»Es ist
schon hart, mich von ihm zu trennen«, seufzte Annabelle. »Aber er hat so viel
geschrien und war immer so zornig. Ich werde ein bißchen weinen. Aber erst,
wenn Betty weg ist. Oh!« Sie fuhr sich mit der Hand an die scharlachroten Wangen.
»Was werden die Leute sagen?«
»Das
bedeutet, daß wir noch mehr Lügen erfinden müssen«, seufzte der Marquis. »Wir
werden erzählen, daß Mr. Armitage seinen Enkel mit nach Hopeworth genommen hat
und daß wir in ein paar Tagen folgen werden. Dann fahren wir nach Paris. Dort
verbringen wir einen ganzen langen zweiten Honeymoon, und während wir weg
sind, wird der Tod unseres Sohnes angezeigt. Die wenigen Diener, die die
Wahrheit erfahren müssen, werden den Mund
halten. Die Leute werden schnell vergessen, daß wir einen Sohn hatten.«
Betty kam
herein und machte einen Knicks. Charles lag in einer Wiege vor dem Feuer.
»Kommst
heim mit deiner Mama«, sagte Betty und hob ihn hoch. Ein knubbeliges Fäustchen
kam zum Vorschein und umklammerte ganz fest ihr Schürzenband.
Betty
neigte den Kopf und legte ihre Wange an das schwarze Haar des Babys. Sie stand
ganz still da. Aus den Augen des Pfarrers liefen von neuem Tränen, und
Annabelle drehte sich um, um ihre Tränen zu verbergen.
»Wir wollen
gehen, Betty«, sagte der Pfarrer. »John wartet.«
Der Marquis räusperte sich und
versuchte, die Atmosphäre etwas zu entspannen.
»Haben Sie
vor, Daphne zu besuchen?«
Der Pfarrer
schüttelte den Kopf. »Es geht zurück nach Hopeworth. «
»Dann
Weidmannsheil!«
Mr.
Armitage drehte sich um, sein Gesicht zeigte deutliche Spuren der Reue und des
Kummers.
»Bei St.
George«, sagte er leise, »ich werde nie wieder jagen.«
Siebtes
Kapitel
Mr.
Garfield drehte und
wendete sich schlaflos im Bett herum, während ihm Bilder von vielen
verschiedenen Daphne Armitages im Kopf herumgingen.
Er
versuchte, sich an die Vorstellung von einem eitlen, oberflächlichen Mädchen
zu klammern, das sich aus nichts anderem als Mode etwas machte. Aber dann fiel
ihm ein, wie Daphne in einem alten Kleid an der Straße gekniet und ihn um
seinen Segen gebeten hatte; wie Daphne so getan hatte, als ob sie verrückt sei;
wie Daphne dieses schauderhafte Essen gekocht hatte, wie sie Bellsire und
Thunderer umarmt und die Gäste davon abgehalten hatte, ihnen auch nur ein Haar
zu krümmen. Dann war da die Daphne bei der Truppenparade im Hyde Park, so warm
und nachgiebig und leidenschaftlich in seinen Armen; und die Daphne von
Brighton, die von innen her so sehr strahlte, daß es fast schmerzte, auf so
viel Schönheit zu blicken.
Er stieg
aus dem Bett und
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