Daphne - sTdH 4
kühlte sein Gesicht in der Waschschüssel, hüllte sich in
seinen Morgenmantel und setzte sich an den Schreibtisch. Er begann alles, was
er über Daphne wußte, aufzuschreiben, bis er bei dem Ball angelangt war, den
er gerade besucht hatte.
Und da war
wieder eine andere Daphne gewesen, die glitzerte wie ein Diamant und doch
irgendwie getrübt und gejagt schien.
Schließlich
kam er zu dem Schluß, daß sein verletzter Stolz schuld daran war, daß er sie,
ohne ihr eine Möglichkeit zur Rechtfertigung zu geben, verurteilt hatte.
Wohlerzogene Mädchen wie Daphne wiesen ihre Verehrer eigentlich nicht ohne ein
Wort der Erklärung ab.
Er
beschloß, sie aufzusuchen, wenn er ein paar Stunden geschlafen hatte.
Aber als er
aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, sie verschwand gerade hinter
einem schnell aufziehenden Nebelschleier, und als er schließlich aus der Tür
trat, hing bereits jener frostige, rußige Geruch in der Luft, der einen krank
machte und den Atem abschnürte.
Er war aufs
äußerste angespannt und nervös, als er bei Lady Godolphins Haus am Hanover
Square ankam. Was, wenn sie ihn nicht sehen wollte?
Als ihm
Mice sagte, daß die Damen mit Mr. Archer ins Britische Museum gegangen seien,
war er zuerst erleichtert, und dann konnte er es nicht glauben. Es war
unmöglich, daß sie ausgerechnet ins Britische Museum gegangen waren!
Mit einer
Andeutung von Humor berichtete Mice ungefragt, daß Mr. Archer ganz entsetzt
gewesen sei, Miss Daphne habe aber darauf bestanden.
Als er im
Britischen Museum angekommen war, beschloß er, in der Halle zu warten, bis
Daphne mit ihrer Begleitung zurückkam. Sie waren gerade erst losgegangen, da
sie auf weitere zwölf Leute warten mußten, bis eine Führung zustande kam. Es
galt nämlich die Regelung, daß immer nur fünfzehn Leute eingelassen wurden,
weder mehr noch weniger. Er fragte sich, was Mr. Archer davon hielt.
Mr. Archer
litt schwer und betete, daß ihn niemand von den Leuten, die zählten, an solch
einem unmöglichen Ort in so unmöglicher
Gesellschaft sehen möge.
Daphne sah
aus wie ein Heimchen am Herd. Ohne Hilfe von Papierwicklern und Lockenschere
waren ihre Haare glatt. Sie hatte sie streng aus der Stirn nach hinten gekämmt
und im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Als Krönung dieser abscheulichen
Frisur trug sie einen niederschmetternden Filzhut, der gewöhnlich von Köchinnen
und anderen Personen dieses Ranges bevorzugt wurde. Daphne hatte ihn auch
wirklich von einem der Kammermädchen zu leihen genommen. Sie hatte ein tristes
braunes Kleid an, einen tristen braunen Mantel und, Schrecken über Schrecken,
Halbstiefel. Mr. Archer wußte genau, daß die Damen schon seit unendlichen
Zeiten keine Halbstiefel mehr trugen. Sie waren völlig aus der Mode.
Sein
Unglück war vollkommen, als sie den offenen Innenhof des Museums betraten und
Daphne eine kleine häßliche Nickelbrille hervorzog, die sie sich auf die Nase
setzte.
Nachdem er
ein paar Minuten gebrütet hatte, faßte Mr. Archer den Entschluß, das Beste aus
der Sache zu machen. Er würde zwischen den Kunstschätzen herumstreifen,
gelangweilt ein paar intelligente Fragen stellen und sich dadurch als einer
der Experten erweisen, die sich in Kunst und Literatur genausogut auskannten wie
mit dem Schnitt eines teuren Jacketts.
Doch leider
war alles dann ganz unwürdig. Kaum waren die fünfzehn Leute beisammen, erschien
der Führer, ein vierschrötiger, braungebrannter Deutscher, der mit enormer
Geschwindigkeit loslegte, sie durch die Säle hetzte, unentwegt plumpe Scherze
machte – insbesondere, als die Damen atemlos an den nackten Statuen
vorbeihasteten – und jeden, der ein bißchen verweilen wollte, gnadenlos zur
Eile antrieb.
Sie eilten
durch Räume voll von ausgestopften Tieren und Vögeln, von denen viele
offensichtlich im Stadium des Verfalls waren. Sie durften auf die Waffen und
Rüstungen nur einen kurzen Blick werfen, rasten außer Atem durch die
Mineraliensammlung, auf die die Antiquitäten aus Heraklion, Pompeji und Ägypten
folgten. Den Stein von Rosette, mehrere große Sarkophage, zahlreiche Statuen
und Basreliefs aus der französischen Sammlung, die 18o1 in die Hände der Briten
gefallen war, bewunderten sie etwa zehn Sekunden lang und eilten dann bereits
wieder im Galopp in den Raum, in dem sich Mr. Towneleys Antikensammlung aus
Griechenland und Rom befand. Darunter war eine schöne Statue der Diana und
auch eine von einer Frau, in deren überraschtem Gesicht sich Entrüstung
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