Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Winterlager. Eisige Schneeflocken und einer sagte: »Warum weiß sie davon? Warum hast du sie von Chakal herbringen lassen?«
Die anderen wurden unruhig und sie bekam Angst, dass Cheb sie nun doch fortschicken und sich nicht an den Vertrag halten würde. Die Müdigkeit riss an ihren Beinen und doch versuchte sie, sich aufrecht zu halten. Ja, Chakal hatte sie durch die Berge geführt. Er hatte am Treffpunkt gewartet, aber er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich nur an die Regeln hielt, weil er sich daran halten musste. Wenn es nach ihm ginge, hätte er sie da draußen umgebracht. Sie wusste das. Sie spürte es, den ganzen Weg lang.
»Der Platz ist heilig«, sagte der eine, »keiner weiß davon. Niemand darf hierherkommen. Dies ist die Abmachung.«
Chakals Blick verfing sich mit ihrem und sie konnte sehen, was er dachte.
Du bringst das Unglück, alte Frau, dachte er, das Unglück, das uns bis jetzt nicht finden konnte. Meine Schwester, Kalo, haben wir weggeschickt. Und jetzt müssen wir dich dulden.
»Du wirst den Wagen mit ihr teilen«, wiederholte Cheb.
Elin widersprach nicht. Sie räumte das eine Bett und nahm ihre Kinder zu sich in ihr eigenes Bett hinüber. Sie zog einen Vorhang quer durch den Wagen, er war aus bunten Tüchern zusammengeheftet. Doch nur Elins Seite war bunt. Die ihre schwarz.
»Mondglanz, so ist dein Name«, hatte sie zu Elin gesagt, an ihrem ersten Abend, und Elin hatte sich weggedreht. Ihr schwarzes, langes Haar fiel vor ihr Gesicht und sie konnte den Ausdruck darin nicht deuten. Jetzt weiß sie, was es war. Angst. Entsetzen.
Sie murmelt ein Gebet, das Vaterunser, es hilft dabei, dass die Bilder undeutlicher werden, dass sich der Traum zurückzieht und langsam verschwimmt. Das Gesicht des Mädchens verschwimmt, das Gesicht des rothaarigen Mädchens, deren Augen ihre eigenen sein könnten.
Sie werden ihnen nichts tun, denkt sie, bis die jüngere Hüterin achtzehn wird, werden sie abwarten, geduldig. Sie werden in ihrer Nähe bleiben, sie auf Whistling Wing festhalten und zu verhindern versuchen …
Sie lässt zu, dass ihre Gedanken stocken. Alles wiederholt sich. Die Zeit des Wartens. Victoria hoffte, sie könnte ihren Liebsten retten und das Tor trotzdem schließen.
Was für ein Trugschluss, denkt sie verzweifelt, die Zeit raste und die Mädchen dachten, es würde ewig dauern. Sie waren sich zu sicher. Und am Ende blieb nur Vincentas Tod, der letzte Ausweg. Der allerletzte. Denn Azrael braucht die Seele der jüngeren Hüterin. Vincenta musste sich umbringen, sie hatte keine Wahl.
Elins Atem wird ruhig und sie weiß, dass sie jetzt wieder in den Schlaf hinübergleitet. Jetzt traut sie sich, die Decke abzustreifen. Die Kälte der Nacht trocknet ihren Schweiß und sie sieht zu, wie sich ihr Bauch bei jedem Atemzug hebt und senkt. Ihre Arme liegen locker an ihren Seiten. Sie ist alt, aber ihr Körper ist voller Kraft. Sie kann tagelang laufen. Ihre Muskeln sind geschmeidig. Ihr Leben lang war sie auf der Flucht und diese Flucht hat sie stark gemacht.
Sie ist bereit, denn sie hat ihr ganzes Leben auf diesen Moment gewartet. Den Moment, in dem die Träume wiederkehren und der Atem des Bösen wieder über das Land streicht. Der rauchige Geruch ihre Lungen füllt, mag sie auch noch so weit entfernt sein. Sie weiß es. Er wird es versuchen. Seine Boten und sein Wegbereiter haben ihr die Träume geschickt. Samael ist zurück.
4
Indie
D ie eisgraue Dämmerung hängt sich wie Spinnweben in die Ecken des Zimmers. Meine Beine fühlen sich vom langen Sitzen steif an. Vor meinen Augen tanzen die Zahlen wie kleine, dünne Schlangen, die sich im Nichts auflösen. Dawna will nicht, dass ich mich mit den Zahlen von Lilli-Thi beschäftige. Auch wenn sie die letzten Tage nicht darüber gesprochen hat, weiß ich, dass sie mich davon abhalten will. Aber ich will herausfinden, was sie bedeuten. Die letzten Tage waren wie in Trance vergangen, ich auf meinem Bett. Mit brennenden Augen immer und immer wieder eine Seite nach der anderen begutachtend, aber all das Betrachten hat meinen Kopf nur leer gemacht, dumpf, als wäre ich krank und könnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Inzwischen traue ich mich die Blätter nicht mehr in meinem Zimmer aufzubewahren. Denn noch immer sind Kat und Miss Anderson da, auch wenn sie so tun, als würden sie sich nicht sonderlich für uns interessieren, fühle ich mich unter ständiger Beobachtung.
Ich lehne mich gegen die Wand und ziehe die Beine näher an
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