Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
zu sein scheint.
»Das Grab der Lucille St. Fleurs«, flüstert Maja neben mir. »Sie wurde ursprünglich in der Kapelle beigesetzt, aber nach einem Jahr wieder exhumiert.«
Exhumiert?, denke ich mir.
»Gedanken«, zischt mir Kat von hinten zu, ich weiß sofort, weshalb sie mich rügt.
Okay, aber immerhin hatte ich mir nur exhumiert gedacht und nicht noch »verfickte Scheiße« dazu.
»Schlechtes Benehmen«, erklärt Maja flüsternd und es wirkt auf mich, als hätten die beiden Schwestern plötzlich ihre Gedanken komplett ausgeschaltet. »Seine Gedanken an einer heiligen Stätte einem anderen aufzudrängen.«
Meine Schritte werden langsamer, ich versuche, mich zu konzentrieren und das Gleiche zu tun wie Kat. Zugegeben, das mit den Gedanken ist meine schlechteste Disziplin, damit nicht gleich für jeden hörbar herauszuplatzen, ist auch sonst nicht die leichteste Übung.
Maja bleibt mit ihrem Rollstuhl stehen und ich schließe kurz die Augen, ganz konzentriert auf mich, schiebe das, was Kat mir erzählt hat, weit, weit weg.
»Die Erzengel«, sagt Maja eben, als würde sie mir eine Kirchenführung geben. »Eines der ältesten Gemälde hier im Kloster.«
Ich öffne meine Augen und blicke nach oben.
»Kaballah. Chamuel. Haniel. Jophiel. Sariel, Ramiel, Zadkiel, Raphael, Uriel«, zählt sie auf, dann macht sie eine kleine Pause.
Es ist nicht nötig, dass sie die drei Engel benennt, die danebenstehen. Michael. Gabriel und Raguel.
Gabriel scheint mir direkt in die Augen zu blicken. Es ist Gabe. Und er ist es nicht. Sein Blick ist sanft und gütig, er trägt eine weiße Lilie in seiner Hand, die Blüte neigt sich mir entgegen.
»Raguel ist der Erzengel der göttlichen Gerechtigkeit. Er sorgt für die göttliche Harmonie«, erklärt Maja.
Nicht mehr, denke ich. Nicht mehr auf unserer Seite.
»Gabriel regiert die Welt der Gefühle. Der Emotionen. Und das Unterbewusstsein.«
Dann rollt sie auf die Gruppe der Hüterinnen zu. Meine Beine fühlen sich plötzlich entsetzlich schwach an.
Seine Augen.
Seine Augen blicken mir direkt ins Herz und im selben Moment weiß ich, woran mich der Innenhof des Klosters erinnert hat: die geharkten Kieswege. Sie sind die Kieswege aus meinen Albträumen.
4
Dawna
O bwohl mich Maja freundlich anlächelt, erschreckt mich ihr Anblick. Sie reicht mir die Hand und in dem Moment, in dem sich unsere Handflächen und unsere Initiationsmale berühren, durchzucken mich zerrissene Bilder.
Azrael lässt sich nicht täuschen… flüstert es in mir und ich lasse Majas Hand los, als hätte ich mich verbrannt. Sie nickt mir beruhigend zu und ich verschließe meine Gedanken fest in mir. Noch immer ist Dorrotya Somogyi an meiner Seite. Obwohl sie mir beständig jeden Stein und jeden Winkel des Klosters erklärt hatte, konnte ich ihre Versuche, in meine Gedankenwelt einzudringen, wie Nadelstiche auf der Haut und in meinem Kopf spüren. Noch nie wurde ich so massiv bedrängt, es nahm mir die Luft und erst jetzt, als Indie, Kat und Maja neben uns stehen, zieht sie sich endlich zurück. Die eiserne Klammer ihres Eindringens löst sich von meinem Kopf, ich spüre mein Haar schweißnass im Nacken und zwinge mich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. Die andere Hüterin wurde mir als Emilia Ponti vorgestellt. Sie ist eine große, kräftige Italienerin mit polternder Stimme. Ihre Unterarme sind weiß und teigig, ein Ring schneidet sich tief in ihren Ringfinger. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich sie mag oder nicht. Ihre kleinen Augen sind flink, als könnte sie alles Mögliche entdecken. Aber ihre Freundlichkeit wirkt nicht aufgesetzt. Sie sieht Indie gespielt streng an.
»Wird Zeit, dass die Mädchen bekommen anständige Kleidung.« Ihre dröhnende Stimme hallt in der Kapelle wider und sie klatscht in die Hände. So treibt sie uns vor sich her, Kat und Maja sind vor uns, sie wirken wie ein eingespieltes Team, ihre Verbindung ist sanft und warm. Am nächsten Kreuzgang verabschiedet sich Dorrotya endlich von uns, sie legt mir die Hand auf die Schulter, und als sie mir in die Augen blickt, kann ich nichts darin erkennen. Absolut nichts, graue Nebelschlieren ziehen darüber. Sie verzieht ihre schmalen Lippen zu einem Lächeln und ich weiß, dass dies nicht ihr letzter Versuch gewesen ist. Dann eilen wir weiter, ein Gang ist wie der andere, ich bezweifle, dass ich mich jemals hier zurechtfinden werde. Schließlich erreichen wir den Garten auf der anderen Seite. Emilia Ponti drückt die Tür auf und
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