Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
schiebe die Sonnenbrille wieder vor die Augen und ziehe den Schlapphut tiefer ins Gesicht, denn das hilft unglaublich gegen Angst. Man fühlt sich einfach ganz anders mit Schlapphut. Während ich auf die Veranda zugehe, habe ich noch immer Adiemus im Ohr, was in dem Moment unglaublich cool kommt. Denn ich habe das Gefühl, als wäre ich in einem Film und würde vor einer wichtigen Entdeckung stehen. Die Aufklärung der Zahlen. Ein Hinweis darauf, was sie bedeuten. Und ich fühle es mit jeder Faser meines Körpers, dass die Blätter für uns wichtig sind. Scheißwichtig sind. Dawna wird schon noch sehen.
Während ich noch an die Zahlen denke, spüre ich plötzlich eine seltsame Schwärze unter mir und das Gefühl, in einem Film zu sein, ist schlagartig weg. Fast meine ich, dunkle Nebelschwaden unter meinen Füßen kriechen zu sehen. Die Musik im Ohr ist weg und ich bemerke ein dumpfes Wummern, wie von einer schweren Maschine oder einem Motorrad. Genau genommen höre ich es nicht. Es ist wie ein tiefes Geräusch, das nur den Körper erfasst, in langsame, unheimliche Schwingungen versetzt. Ein düsterer Sog greift nach mir, ich bleibe mitten auf der Straße stehen und für einen kurzen Augenblick scheint der Boden unter mir zu wanken, so als würde mein Blutdruck absacken und ich gleich mein Bewusstsein verlieren. Aber ich verliere nicht mein Bewusstsein. Ich sehe weiter die Zahlenkolonnen vor mir. Als wären diese Zahlen nicht mehr auf einem Papier, sondern auf einem Computer und würden über den Bildschirm laufen. Immer schneller. Und immer schneller.
21 03 53 37 47 12 25 11 25 12 01 35 … Ich versuche, mich diesem dunklen Sog zu entziehen.
Indie. Reiß dich am Riemen, ermahne ich mich und gehe Schritt für Schritt auf die Veranda zu. Ich werde nachsehen, ich kann mich nicht abhalten lassen, von niemandem. Nicht einmal von meiner eigenen Angst.
Als ich das Holzgeländer der Veranda berühre, lässt der Sog nach. Ich schüttle den Kopf, als könnte ich damit das loswerden, was gerade die Finger nach mir ausgestreckt hat. Vermutlich habe ich zu wenig gefrühstückt, versuche ich, mich zu beruhigen, und starre auf die weißen Finger meiner linken Hand, die sich wie eine Klammer um das Holz gelegt haben. Als würde mir die Veranda Sicherheit geben, traue ich mich endlich, nach hinten zu sehen. Direkt gegenüber steht der pinkfarbene Navara. Die Tür vom Murphy’s Law ist noch immer verschlossen. Die Straße ist wie ausgestorben.
»Fuck«, sage ich. Ich werde verrückt. Die Zahlen machen mich irre. Das muss es sein. Ich atme tief ein. Okay. Dann wollen wir mal.
Meine Schritte knarren auf dem Holz, klingen so, als würden sie böse Geister wecken können, aber ich kann mich nicht leiser bewegen. Beim ersten Karton gehe ich in die Hocke und öffne mit spitzen Fingern den Deckel.
Ganz oben liegen Snickers, zerdrückt, mit aufgeplatztem Papier.
Mein Herzschlag setzt aus.
Gleichzeitig mit Sam ist auch Gabe wieder mit voller Wucht in meinen Gedanken. Gabe. Um Gabe lieben zu können, muss ich stärker sein. Stärker als Lilli-Thi. Stärker als Sam. Stärker als die anderen dunklen Engel. Blind starre ich in den Karton. Mit einem Donnerschlag sind die Gedanken an die Dunklen wieder da. Meine Selbstsicherheit fängt zu bröckeln an, Rag drängt sich in meinen Kopf. Der Rag, der vor mir auf dem Friedhof steht, seine laserblauen Augen auf mich richtet, und sein ganzer Blick sagt: Du oder ich, Indie. Wir sind noch nicht quitt. Und ich weiß, wenn mich seine Faust trifft, kann ich nur hoffen, dass ich sofort bewusstlos bin. Oder tot. Was dann ist, will ich nicht wissen.
»Bullshit«, fluche ich mit zusammengekniffenen Lippen, versuche, ruhig zu atmen, obwohl mich die Verzweiflung überschwemmt. Was hat das alles für einen Sinn? Ohne Gabe hat es alles keinen Sinn mehr! Wieso hast du dich vor mich gestellt? Wieso hast du so getan, als würdest du mich lieben?
Zornig über mich und mein gedankliches Zwiegespräch mit jemandem, der gar nicht da ist, stehe ich auf und gehe zur nächsten Kiste.
Du warst nie auf meiner Seite. Ich werde dich nie auf meine Seite ziehen können. Du schützt mich nur, weil du meine Seele für Azrael schützen musst. Nicht etwa, weil du mich liebst, sondern …ich denke den Gedanken nicht weiter, starre in die Kiste, in der ein wildes Durcheinander von Schokoriegeln, Kaugummis, Tüten mit Chips und Dörrfleisch liegt. Mir wird schlecht und plötzlich ist es, als hätte ich Gabes Stimme in meinem
Weitere Kostenlose Bücher