Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
bei Engeln möglich ist. Es ist mir verhasst, sie Engel zu nennen.
Die Dunklen, denke ich. Die Gefallenen. Azraels Legion.
Durch die Zweige des Wacholders sehe ich den pinkfarbenen Navara in gemächlichem Tempo vorbeifahren. Ich kann Sidney im Profil sehen. Ich könnte schwören, dass sie einen Schlapphut auf dem Kopf hat. Und keine fünfzehn Sekunden später: Rag.
Jetzt kommt Leben in meine Beine. Ich springe in den Wagen und lenke ihn zurück auf die Straße. Was, zum Teufel, will Rag von Sidney?
Ich gebe Gas, bis ich im Nebel verschwommen die Rücklichter von Rags Motorrad erkennen kann, dann lasse ich mich etwas zurückfallen, damit er nicht auf mich aufmerksam wird. Noch ist die Strecke kurvig und ich sehe das Rot der Lichter nur ab und zu aufblitzen. Doch vor New Corbie wird die Strecke gerade. Ich gehe noch mal vom Gas. Sidney und Rag haben inzwischen die ersten Häuser erreicht. Als ich merke, dass Rag immer langsamer wird, reiße ich das Steuer herum und biege in die Seitenstraße ein, die hinter der Baptist Church vorbeiführt. Ich beschleunige und kann an der nächsten Querstraße einen kurzen Blick auf den Navara erhaschen.
Sidney, denke ich, Scheiße!
Sie scheint nicht bemerkt zu haben, dass ihr jemand folgt. Wie sollte sie auch. Sie fährt immer noch das gleiche entspannte Tempo. Wahrscheinlich hört sie in einer irren Lautstärke Enya. Erst vor ein paar Tagen hat sie gesagt, dass sie nichts so sehr entspannt wie Adiemus im Auto so laut zu drehen, dass die Boxen fast implodieren. Und das ist bei Sidneys Anlage verdammt laut, seit Vince ihr einen neuen Verstärker eingebaut hat.
Ich gebe Vollgas und schieße den Baptist Drive entlang. Der Pick-up gibt jedes Mal ein ungesundes Scheppern von sich, wenn ich durch die Schlaglöcher holpere. Wahrscheinlich macht er das Ganze nicht mehr lange mit, aber wenn ich schnell genug bin, kann ich um New Corbie herumfahren und Sidney entgegenkommen. Was ich dann tun soll, weiß ich nicht. Aber etwas Besseres fällt mir nicht ein. Einen Mann, der gerade die Straße überqueren will, hupe ich so ungehalten an, dass er zurückspringt und mir hinterherschimpft, doch ich beschleunige einfach weiter und schliddere am Ende des Baptist Drive um die Kurve. Hier nehme ich den Fuß vom Gaspedal und biege in die Hauptstraße ein. Eigentlich müsste mir Sidney nun längst entgegenkommen. Selbst bei ihrem Tempo. Ich kneife die Augen zusammen und starre die Straße hinunter. Ich habe noch immer keinen Plan und wünsche mir, Indie wäre hier. Schließlich fällt Indie fast immer etwas ein. Auch wenn es meistens Schwachsinnsideen sind. Auf Indie ist Verlass. Aber sie ist wahrscheinlich zu Hause auf dem Dachboden mittlerweile auf Seite 500 von Lilli-This Aufzeichnungen angelangt. Ich lasse den Pick-up ausrollen. Da. Endlich sehe ich etwas Pinkfarbenes. Sidney hat anscheinend vor dem Murphy’s Law geparkt. Direkt gegenüber von Sam Rosells Laden. Oder soll ich sagen Diego Rosells Laden? Rag kann ich nicht entdecken. Ich fahre noch ein paar Meter. Da öffnet sich die Fahrertür des Navara und jemand huscht über die Straße. Und dieser Jemand ist nicht Sidney.
6
Indie
S idney hat ausschließlich Enya-CDs in ihrem Auto. Die ganze Fahrt war ich damit beschäftigt, was anderes zu suchen. Und außerdem herauszukriegen, wie man die Endlosschleife von Adiemus zum Erliegen bringt. Aber gleichzeitig auf der Piste zu bleiben und am CD-Spieler herumzudrücken, ist schwieriger als gedacht. Wieder einmal schiebe ich die zu große Sonnenbrille vor die Augen, obwohl es dafür viel zu dunkel ist. Das Wichtigste ist, dass ich die Gedanken an Gabe abstelle. Das Zweitwichtigste ist, dass keiner meine rot geweinten Augen sieht.
Mir klingeln noch die Ohren, als ich vor Sam Rosells Laden halte und endlich die Musik verstummt.
Die Straße liegt wie ausgestorben da. Das Murphy’s Law ist bestimmt noch geschlossen, aber sicher sein kann man sich da nie. Es sieht immer so aus, als wär da total tote Hose oder als würden die Leute, die in diese Kneipe gehen, im Dunklen sitzen. Und auch Rosells Laden macht nicht den Anschein, als wäre er schon geöffnet. Immerhin hat dieser Diego inzwischen sämtliche alten Plakate von der Wand gerissen und die Tür erneuert.
Sehr gut. Rosells Leichenwagen steht nicht vor dem Laden. Das bedeutet, dass er wohl nicht hier ist.
Noch besser. Es stehen noch Kartons auf der Veranda. Damit habe ich wenigstens eine gewisse Chance, die fehlenden Blätter zu finden.
Ich
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