Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
umbringen? Und was wolltest du bei Rosells Laden?«
Mir würden noch tausend andere Fragen einfallen. Zum Beispiel wie sie Sidneys Navara unbemerkt zurückbringen will. Ob Autos klauen jetzt schon zur schlechten Gewohnheit geworden ist und was überhaupt diese lächerliche Verkleidung soll. Als hätte Indie einmal mehr meine Gedanken gelesen, nimmt sie die Brille ab und schiebt sie in ihre Jackentasche.
»Ich hatte dort etwas zu erledigen«, sagt sie.
Anscheinend hat sie keine Lust, mit mir darüber zu reden. Auch gut. Ich weiß es sowieso. Es geht wieder einmal um die Blätter. Aber würde Lilli-Thi dieses Zeug einfach rumfliegen lassen, wenn es so wichtig wäre?
»Ach ja«, sage ich böse. »Und hier hattest du auch etwas zu erledigen. Schätze ich.«
Ich lasse meinen Blick zu den Motorrädern schweifen. Sie sind alle schwarz und ohne Nummernschilder. Eines sieht aus wie das andere. Hinter der letzten Duke ist der Kellereingang zum Club. Eine schwarze Tür mit einem kleinen, vergitterten Fensterchen.
»Du riskierst dein Leben«, sage ich böse, »für nichts. Für einen Typ, der dich tot sehen will. Der zu Rag und Lilli-Thi und Shantani gehört. Der nichts dafür tut, dich zu retten. Warum läufst du ihm immer noch hinterher?«
»Und du«, sagt Indie ruhig, »du riskierst überhaupt nichts. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
Ihre Worte treffen mich, als hätte sie mich mitten ins Gesicht geschlagen. Ich sehe uns drei, Mum, Indie und mich. Früher, als Indie noch die Kleine war, die ich beschützen musste, weil Mum nichts auf die Reihe brachte. Immer war ich diejenige, die für alles ihren Kopf hinhielt. Immer musste ich Indie überall rausboxen. Ob es in der Schule war oder bei irgendwelchen Cliquen, mit denen sie sich anlegte.
»Das ist lange her«, sagt Indie und schiebt den Schlapphut zurück. Ihr rotes Haar kringelt sich von der Feuchtigkeit des Nebels und klebt an ihren Wangen. »Jetzt geht es um etwas anderes.«
»Und um was, bitte schön?«, fauche ich.
Indie schneidet mir das Wort ab. »Es geht darum, dass du nie das tust, was du willst. Du bist nie heiß oder kalt. Du bist immer lau und immer gehst du den Mittelweg.«
»Was soll denn diese Scheiße!« Ich muss mich wirklich zusammenreißen, nicht so laut zu schreien, dass halb New Corbie zusammenläuft.
»Du willst Miley aufgeben«, sagt Indie, »und ich soll Gabe vergessen.«
»Genau«, sage ich, »gut, dass du dich wenigstens daran erinnerst. Ich dachte schon, du hast alles verdrängt.« Ich fühle mich so schlecht, weil ich Indie anlüge, dass ich kotzen könnte.
»Ich kann es nicht.« Indies Blick ist offen und voller Schmerz. Sie sieht zur Fassade des Morrison Motels hinauf. Irgendwo da drin sind sie. Irgendwo da ist Gabe und zieht Indie an. Der Verführer.
»Du weißt nicht, was du sagst«, fahre ich sie an, »du bist verwirrt. Das ist sein Job. Er ist der Verführer, hast du das vergessen? Er ist nur dazu da…er liebt dich nicht. Er kann dich nicht lieben. Er hat kein Herz und keine Seele.«
Ich atme tief den Nebel ein und spüre, wie er feucht in meine Lungen kriecht.
»Das ist nicht wahr«, flüstert Indie.
Wir sehen uns in die Augen und ich fühle mich wie in einem bescheuerten Film. Immer noch dröhnt Adiemus in Sidneys Navara, als würden gerade irgendwelche Orks die Elben niedermetzeln. Unbarmherzig. Grausam. Irgendetwas stoßen Indies Worte in mir an. Dieses uralte Wissen, das in mir zu lauern scheint, das Steinchen für Steinchen ins Rollen gerät.
»Wir müssen hier weg«, sage ich.
»Wir können nicht den Mittelweg gehen«, flüstert Indie, als hätte sie mir gar nicht zugehört, »wir müssen kämpfen.«
Als wäre dies das Stichwort gewesen, schwingt die Tür zum Club auf. Ich brauche gar nicht hinzusehen, ich weiß auch so, wer dort steht. Und auch Indie muss sich nicht umdrehen. Sie schließt für einen kurzen Moment die Augen. Es musste so kommen. Wir haben sie geweckt. Wir hätten gleich abhauen sollen, anstatt hier diesen blödsinnigen Streit zu führen. Die Tür knallt gegen die flamingofarbene Hauswand und Rags Schwere hält mich sofort gefangen. Er tritt durch die Tür nach draußen und hinter ihm Pius und ein weiterer Engel. Meine Beine sind wie festgefroren. Pius geht einmal um uns herum, dabei lässt er seinen Arm um meine Schultern gleiten.
»Dawna«, sagt er neben meinem Ohr, »unser letztes Zusammentreffen war so … unerfreulich.«
»Ihr habt bekommen, was ihr wolltet«, stoße ich hervor und
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