Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
gehen.«
Lilli-Thi wirbelt auf der Kante des Wasserturms herum, dass mir bei dem Anblick ganz schwindelig wird. Können wir das Gespräch nicht woanders führen?
»Victoria und Ernestine wussten nicht das, was wir jetzt wissen. Sie waren sich einig, dass wir drei das Tor öffnen würden, um im Angesicht Azraels …«
Mein Blick zuckt schon wieder zu Lili-Thi.
»… um im Angesicht Azraels mit unserer ganzen Kraft all dem ein Ende zu bereiten.«
Emma schließt die Augen, horcht in sich hinein.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das die Zukunft ist, die uns bevorsteht«, flüstert sie. Langsam fasst sie mit der rechten Hand nach Dawnas, mit der linken nach meiner Hand. »Versteht ihr, was ich euch sagen will? Ihr dürft euch nicht darauf verlassen, was die beiden in der Prophezeiung gesehen haben. Ihr müsst euch mit dem Wissen, das ihr jetzt habt, damit beschäftigen.«
Lilli-Thi kauert sich plötzlich genau auf der Kante des Wasserturms zusammen, verharrt in dieser Stellung. Es sieht aus, als wäre sie vor dem großen Ausbruch.
»Wenn mir etwas geschieht und ich sterbe …« Sie schüttelt den Kopf, als Dawna etwas einwenden will. »Es muss eine Lösung ohne mich geben.«
Ich kann darauf nicht antworten. Es ist vollkommen klar, dass wir uns Azrael nicht alleine entgegenstemmen können.
»Du wirst nicht sterben«, sagt Dawna unwillkürlich.
Emmas Augen werden dunkel und traurig. »Doch, Dawna, das werde ich. Und der Tag ist nicht fern«, flüstert sie. »Aber die Prophezeiung wird euch den Weg weisen. Sie wird euch zeigen, was ihr tun sollt.«
Ihre Stimme wird wieder kräftig.
»Vielleicht sterbe ich auch erst danach«, sagt sie und lässt unsere Hände aus. »Weiß man’s. So Prophezeiungen sind manchmal unglaublich ungenau.«
Ich drehe meine Augen zum Himmel. »Scheiße«, sage ich und Dawna gibt mir einen Rempler.
Wir zucken alle zusammen, als ein grauenvoller Schrei ertönt. Lilli-Thi stürzt sich vom Wasserturm, für einen Moment habe ich den Eindruck, dass sie sich umbringen will. Dass sie hinabspringt, um auf dem Boden zu zerschellen. Aber im letzten Moment öffnen sich ihre Flügel und mit einer unglaublichen Eleganz schwingt sie sich doch wieder nach oben, umkreist den Wasserturm in einem anmutigen Bogen, bevor sie über den Baumwipfeln verschwindet.
Wasserturm, 25. Juli 2013
D er Wind trägt sie hoch hinauf, oder ist es ihr Zorn? Ihr Zorn über Befehle, die sie befolgen muss, über die Demütigungen, die sie ertragen muss. Sie, die niemals, niemals zuließ, dass ein Mann über ihr war, ihren Willen brach, ihr seinen Willen aufzwang. Nie war sie der Besitz eines Mannes gewesen, obwohl alle sie besitzen wollten. Sie war frei gewesen, sie war der nächtliche Wind, der Traum, der sich in den Schlaf stahl, ein Traum von Lust und Begehren.
Sie stürzt sich in das Grün des Waldes und Blätter peitschen über ihren Körper, sie spürt keinen Schmerz, keine Angst. Sie spürt nur Zorn, einen alles verzehrenden Zorn.
Natürlich hat sie die Frauen gesehen, unten am Turm, doch sie war zu aufgewühlt für einen Kampf. Sie hätte die Alte gleich töten können. Sie hätte sie mit sich schleifen können, mit ihren Krallen zerreißen. Doch sie gönnte Samael diesen Triumph nicht. So oft hatte sie Dinge getan, um ihm zu gefallen. Zu oft.
Gott erschuf Adam und Lilith aus demselben Stück Lehm, flüstert es in Lilli-This Kopf, doch Samaels Spucke verunreinigte das Stück, aus dem Lilith geformt wurde. Lilith wurde stark und wild und schön, sie ließ nicht zu, dass Adam über ihr lag, und das gefiel ihm nicht. Als er sie zwingen wollte, unten zu liegen, lachte sie ihn aus und flog davon.
Wenn sie die Alte umbringt, ist alles vollbracht. Die Töchter werden das Tor öffnen. Die jüngere wird ihm ihre Seele schenken müssen und ihn mit seiner unendlichen Macht verbinden. Sie werden keine Chance haben, ihn zu vernichten, denn sie wissen nicht, wem sie gegenüberstehen werden. Sie ahnen es nicht.
Sie fliegt einen großen Bogen, der Wind streichelt ihre Schwingen. Da unten, die ältere, Hass bäumt sich in ihrem Körper auf. Sie hat sie unterschätzt, sie hat den uralten Kampf unterschätzt.
Gott nahm eine Rippe aus Adam und erschuf daraus Eva. Sie war umgänglich und diente Adam, aber als Lilith ihr den Apfel der Erkenntnis reichte, war auch dieses Glück vorbei. Seitdem herrschte Feindschaft zwischen Eva und Lilith.
Sie waren sich zu ähnlich geworden. War das Mädchen nicht mehr Eva, die langweilige,
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