Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Sam«, sage ich rau. »Lass es uns einfach tun.«
Eine kleine Bewegung in der Menge lässt mich den Blick wenden. Der Einzige, der nicht mehr starr nach vorne sieht, ist Rag. Er sieht mich an und ich versuche, ihn zu ignorieren.
»Gut gesprochen, Mädchen«, sagt Sam.
34
Dawna
W as willst du mit Mum?« Ihr Anblick ist schwer zu ertragen. Wenn uns diese Zeit nicht so sehr zusammengeschweißt hätte, dann wäre es vielleicht nicht so schlimm. Doch die letzten Monate hatten ein unsichtbares Band zwischen uns dreien geknüpft, etwas, das es vorher nicht gegeben hatte.
»Dawna, Schätzchen, das kannst du mich doch auch selbst fragen.« Diese Stimmlage kenne ich bei Mum. Bei dieser Stimmlage kann man sich sicher sein, dass sie völlig durchgeknallt ist. So spricht sie nur, wenn sie von etwas komplett eingenommen ist. Das letzte Mal war es Shantani. Das letzte Mal hab ich sie so auf der Fahrt nach New Corbie reden hören, letzten Sommer, als wir Shantani entgegenfuhren. Als alles seinen Anfang nahm.
»Ich habe eure Mutter schon immer gebraucht.«
Neben mir sinkt Indie auf die Knie, sie scheint ganz auf sich und unser Grab konzentriert. Will sie nicht hören, was Sam uns sagt? Kann sie Mum nicht ansehen? Wieder legt er behutsam seinen Arm um Mums Schultern, ich versuche, ihren Blick einzufangen, was mir auch gelingt. Sie zwinkert mir zu. Sehe ich ein unruhiges Flackern in ihren Augen? Sie greift nach Samaels Hand und hält sie fest, zärtlich, innig. Was haben sie in der Zeit mit ihr angestellt?
»Schließlich brauchte ich die besten Hüterinnen. Das musste ich selbst in die Hand nehmen.« Mit einer liebevollen Geste streicht er über Mums Seite. »Und eure Mutter wollte nichts lieber, als die Prophezeiung erfüllen. Sie war so bedürftig … nach Liebe und Anerkennung.«
»Nichts ist wichtiger als Liebe und Anerkennung, meine Mädchen. Und ich kann euch versichern, dass ich nun endlich auf dem richtigen Weg bin.«
»Der Orden«, sage ich leise und sehe Unwillen über Mums Gesicht huschen.
»Alte Frauen, die denken, sie könnten die Welt mit ihren lächerlichen Regeln zusammenhalten.«
»Du warst dir so sicher, zu ihnen zu gehören.«
»Eine Täuschung. Nichts als Täuschung. Sie wollen uns unterjochen. Wir sollen unser Leben in ihren Dienst stellen und wir laufen ihnen nach wie Schäfchen ohne eigenen Willen. Die Oberin ist … böse. Ich habe ihr nie vertraut. Sie manipuliert, nur um an der Macht bleiben zu können. Das habe ich erst jetzt alles verstanden.«
»Marie Esperance Armengol.« Die Nennung des Namens ihrer Freundin im Orden lässt Mum zusammenzucken, doch sie fängt sich sofort wieder.
»Ein gutes Beispiel, Dawna«, sagt sie ruhig, »sie ist die Schwester der Oberin. Wusstet ihr das? Sie lebt ein ärmliches Leben, ohne Ansehen, ohne Verantwortung, während ihre Schwester die höchste Stellung im Orden innehat. Das ist nicht gerecht.«
»Marie sah glücklich aus.«
»Sie war nicht glücklich. Sie war frustriert und einsam.«
»Du warst glücklich.«
Kurz blickt sie zur Seite, als müsste sie sich sammeln, doch dann perlt ihr Lachen über den Friedhof. Selbst das bringt die Engel, die hinter den beiden stehen, nicht aus dem Konzept. Starr blicken sie durch uns hindurch. Ein sanfter Wind kommt auf, warm und einschläfernd. Oder ist es die Hitze, die von den Engeln ausgeht?
»Erst hier habe ich verstanden, dass wir alle gleich sind, dass niemand das Recht haben sollte, über uns zu bestimmen. Dass wir alle frei sind.«
Indies Finger gleiten über den zarten Riss auf unserer Grabplatte, so zart, dass man ihn übersehen könnte, wüsste man nicht, wie er entstanden ist und welche Bedeutung er hat.
»Warum spüre ich nichts?«, wispert sie so leise, dass nur ich es hören kann.
Ich weiß es nicht, denke ich und Panik steigt in mir auf. Es wird etwas passieren, das wir nicht kontrollieren können, etwas, das wir nicht ahnen, auf das wir nicht vorbereitet sind.
Still …!
»Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche wichtige Rolle mir zugedacht ist«, sagt Mum stolz. Ihre Stimme zittert. »Ich werde die Überbringerin sein.«
»Die was?«, fahre ich sie an. »Die Überbringerin von was?« Plötzlich habe ich das Gefühl, nichts mehr zu verstehen. Teil eines Spiels zu sein, dessen Regeln sich ständig ändern.
»Der göttlichen Energie. Das ist eine wichtige Aufgabe, die wichtigste Aufgabe überhaupt«, sie senkt ihre Stimme zu einem Flüstern, »man weiß nicht, was passiert. Vielleicht werde
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