Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Wir hätten die böse Energie neutralisiert, aber wie dies funktionieren soll, wenn sie in Mum steckt, ohne Mum zu schädigen, weiß ich nicht. Aber er muss noch einen Trumpf im Ärmel haben, einen, der mehr wiegt, als Mum auf seiner Seite zu haben. Und dann ist da noch das mit dem Tor. Wieso spüre ich nichts von dem Energiestrom? Wieso spüre ich nichts von Azrael? Sollte er nicht schon die Finger nach mir ausstrecken?
»Ist sie jetzt doch schon gestorben, Ernestines Schwester. Emma Spencer«, sagt er, mehr so als Feststellung. »Eure Hoffnung.« Er lächelt nicht, beobachtet meine Hand, die über den Grabstein wischt. »Lilli-Thi macht keine halben Sachen, das solltet ihr wissen.«
Noch zwei Minuten, dann ist Mitternacht.
»Und auch ich mache keine halben Sachen«, sagt er mit sanfter Stimme und trotzdem klingt es nach einer Drohung.
Hat unser Plan überhaupt noch Sinn?
Dawna nimmt meine Hand und zieht mich hoch.
»Wenn ich heute sterbe, dann für etwas Größeres, etwas unglaublich Wichtiges, etwas, das mehr bedeutet als mein Leben und euer Leben«, hallt Mums Stimme in meinem Kopf nach.
Noch eine Minute bis Mitternacht. Wenn der erste Schlag der Glocke zu hören ist, werden wir beginnen, das Grab zu öffnen. Die Sekunden ticken vorbei, ohne dass wir etwas sagen, ich sehe auch nicht mehr Sam an. Wir werden jetzt unseren Plan nicht mehr ändern können. Wir werden nicht wissen, was er wirklich vorhat, was uns wirklich erwartet.
Der erste Glockenschlag weht zu uns herüber und Dawna beginnt zu murmeln, ihre Worte werden von der Dunkelheit geschluckt. Sie verneigt sich vor dem Westen und dem Osten und ich tue es ihr gleich, während mein Blick über die weite Ebene schweift, die hinter der Friedhofsmauer liegt. Ein zweiter Glockenschlag.
Die Ebene ist leer, wie ausgestorben liegt sie vor mir, dann drehe ich mich wieder zum Grab. Energie flutet zwischen Dawna und mir, irgendwie zu schwach, nicht entschlossen genug. Vielleicht weil ich mit meinen Gedanken woanders bin, abgelenkt durch die Gewissheit, dass er uns genau dorthin geführt hat, wo er uns hinführen wollte, dass es nie unser Ding war, sondern immer seins, und dass wir schon wieder verflucht dazu sind, viel zu spät zu merken, was eigentlich geschieht.
Der dritte Schlag der Glocke.
»Aperimus«, flüstert Dawna. Sie zeichnet ihre Runen mit geschlossenen Augen, sieht mich nicht an. »Aperio et aperimus.«
»Aperimus«, wiederhole ich, während auch meine Finger durch den Sand gleiten. »Aperio et aperimus.«
Unsere Hände berühren sich schon fast, zwei letzte Runen, dann stoßen unsere Finger aneinander. Gänsehaut fließt über meinen Körper, der vierte Glockenschlag erfasst mich, und obwohl wir gerade keine richtige Kraft aufbauen konnten, höre ich das Schaben von Stein auf Stein, und genau dort, wo der Stein schon einmal zerbrochen war, scheinen sich die zwei Steinplatten zu verschieben.
Von den Dunklen ist nichts zu hören.
Der fünfte Glockenschlag.
Nichts, was noch Hoffnung gibt, wir stehen alleine hier, ohne einen Verbündeten.
Emma. War nicht der erste Schlag der Glocke unser geheimes Zeichen? Das Zeichen dafür, dass sie nun kommen soll, sich mit uns Azrael entgegenzustellen? Aber es ist nichts zu hören. Samaels Blick ist auf mich gerichtet, so zuversichtlich, dass mir flau im Magen wird. Lilli-Thi macht keine halben Sachen, höre ich seine Stimme.
Ein Geräusch hinter mir bringt mich dazu, mich umzudrehen. Sind es die Flügel Tausender Vögel? Ist es ein Gewittersturm, der über die Ebene rast?
Eine Wolke füllt den Horizont mit Schwärze. Eine Wolke, die keine ist. Ein riesiger Schwarm von Vögeln nähert sich dem Friedhof. Die Kohorten, die vor uns stehen, bekommen noch Rückendeckung. Sie fliegen in breiter Front, formieren sich ständig neu … manchmal fliegen sie so dicht zusammen, dass man nur einen tiefschwarzen Punkt sieht, dann wieder auseinander, es entstehen geometrische Muster am Nachthimmel, schwarze Netze, gewaltige Formen, die sich ständig verändern, sich verdunkeln und wieder aufhellen. Und je näher sie kommen, desto mehr zentriert sich der Schwarm auf das Ziel, das er anstrebt.
Und davor ein Pferd im gestreckten Galopp. Wie ein Déjà-vu, Dawna auf dem Schwarzen. Jetzt ist es Emma, die den Schwarzen zu einem halsbrecherischen Tempo antreibt. Als sie näher kommen, sehe ich die zwei Wölfe rechts und links von ihr, dicht an ihrer Seite. Ihre langen Haare haben sich gelöst und flattern wie eine silbrig
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