Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
einen Bogen, dann kehren sie zurück, langsam, gemächlich verlieren sie an Höhe, der Friedhof zieht sie an und einer nach dem anderen landet. Und obwohl wir sie nicht mehr sehen können, spüren wir ihre Drohung, ihr Ruf gellt über die Ebene. Sie verdoppeln ihre Macht, es sind die Engel, die gerade erst durch die Tore gekommen sind. Mühelos finden sie ihren Platz zwischen den anderen und ich spüre, wie meine schwache Verbindung zu Indie zu reißen droht. Wir müssen schnell handeln. Die Zeit läuft, und je länger ich hier herumstehe und nicht meine ganze Gedankenkraft auf Indie richte, desto schutzloser wird sie.
Ich höre ein leises Lachen, das mir Gänsehaut über die Unterarme jagt, es ist Sam, der sich seinem Ziel so nahe sieht.
»Das ist mein Kampf.« Ich wische Kats Hände von meinen Schultern. »Und ich stelle es jedem frei, mir zu folgen.«
39
Indie
D ie Wolken, die sich vor den Mond geschoben haben, zerfließen und das fahle Mondlicht beleuchtet gespenstisch die Männer vor mir. Gabes Kohorte ist stark dezimiert – sie bilden einen lückenhaften Kreis um uns und das Grab. Es sieht einfach lächerlich aus, verglichen mit den Heerscharen, die gegen uns sind. Inzwischen sind die Kämpfe verebbt, es ist so still, dass man meinen könnte, man wäre alleine auf der Welt.
Wenn da nicht diese leichten Vibrationen wären, die den Boden zum Schwingen bringen. Als würde irgendwo ein Vulkan tief Luft holen, um demnächst seine glühende Lava über die Erde zu schicken.
»Das hätten wir uns doch alles sparen können«, sagt Sam mit seiner freundlichsten Stimme.
Mein Blick gleitet von ihm zu Mum. Sie steht aufrecht neben dem Grabengel und sieht in die Ferne. Sie wirkt dabei nicht ängstlich, sondern eher so, als würde sie sehnsüchtig auf etwas warten.
»Happy Birthday, Indie.« Die Ruhe, die er ausstrahlt, ist nicht gespielt. »Nein, das ist natürlich keine Ironie, es wird ein glücklicher Geburtstag. Das verspreche ich dir …«
Ich antworte Sam nicht. Was sollte ich auch sagen?
»Und dein Liebhaber an deiner Seite. Wie ergreifend«, setzt er mit einem spöttischen Blick auf Gabe hinzu.
Sanft schlingt Gabe seine Arme um meine Taille und zieht mich nahe an sich.
»Bleib ruhig«, flüstert er an meinem Ohr.
»Im Tod vereint, das ist wirklich und wahrhaftig romantisch. Findest du nicht auch, Vic?«
Meine Mutter wirft einen kurzen Blick auf mich, ich kann ihn nicht deuten, er scheint durch mich durchzugehen, aber irgendwie auch nicht, dann sieht sie wieder zum Horizont. Vielleicht, weil sie sich wegbeamen will.
»Eine wahre Romeo-und-Julia-Geschichte.« Seine Augen bleiben kalt auf mich gerichtet.
»Da kennst du dich ja aus. Mit Romeo und Julia«, antworte ich und schiebe ironisch ein »Daddy« hinterher.
Halt ihn hin, sagt etwas in meinem Kopf, das Zittern der Erde unter meinen Füßen erfüllt mich mit Unruhe.
»Eigentlich nicht«, sagt er heiter. »Das war keines meiner Ziele. Zu schade, dass wir uns nicht näher kennenlernen werden … Ich denke, dass wir einige Gemeinsamkeiten zwischen uns finden könnten.«
»Scheiße, Sam. Da fällt mir jetzt echt nichts ein«, antworte ich heiser. »Soll das Smalltalk werden, oder was?«
»Ja. Wieso nicht?« Er nickt freundlich.
»Wieso nicht«, wiederhole ich seine Worte, automatisch sehe ich in das dunkle Loch vor mir. »Hast du dir nie darüber Gedanken gemacht, was es bedeutet, Vater zu sein? Kein schlechtes Gewissen, die eigene Tochter Azrael zu opfern …?«
»Azrael.«
Sams Stimme klingt spöttisch und seine Augen glänzen. Plötzlich sehe ich ihn wieder vor mir, wie er im letzten Sommer auf uns gewartet hat. Er, dem ich nie zugetraut hätte, dass er etwas anderes ist als ein etwas arbeitsscheuer Ladenbesitzer, der zu viel trinkt. Ich sehe seinen Blick von damals, Mileys Kette, die plötzlich zwischen seinen Fingern aufblitzte. Er hat uns über den Tisch gezogen, mühelos hat er uns etwas vorgegaukelt und wir haben ihm alles geglaubt.
Meine Brust zieht sich zusammen, die Angst, dass sich das alles wiederholt, nimmt mir die Luft.
»Wer hat eigentlich die Sache mit Azrael erfunden?«, erkundigt er sich im Plauderton. »Vielleicht der Orden?«
Er beginnt zu lachen und wie als Antwort zittert die Erde ein klein wenig unter meinen Füßen.
»Erfunden«, wiederhole ich das letzte Wort nur, aber die Bedeutung dessen wird mir nicht klar.
»Azrael war so ein netter Kerl. Aber Nettigkeit lohnt sich nicht, das muss man sich merken«, erklärt er
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