Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Reiter.
Gabe.
Er ist noch zu weit weg, um ihn richtig erkennen zu können, aber ich weiß, es ist Gabe. Der Schwarze beginnt zu tänzeln, beugt edel seinen Hals. Die Graue gibt noch einmal Gas, ich greife wieder in ihre Mähne. Kurz bevor sie den Schwarzen erreicht, geht sie in einen federnden Trab über, der Schwarze tänzelt aufgeregt hin und her und beugt seinen Hals, bis sie nebeneinanderstehen. Die Graue ist verschwitzt, ihr Fell kräuselt sich, ihr Körper dampft.
Was machst du da?, will ich ihn fragen.
Er lenkt den Schwarzen lässig neben mich, wir sind jetzt auf gleicher Höhe. Mein Blick gleitet über ihn. Seine Augen sind seltsam emotionslos, aber vielleicht erscheint mir das auch nur so. Seine dunklen Haare kringeln sich im Nacken, seine hohen Wangenknochen und seine gerade Nase betonen sein vollkommenes Gesicht. Er sieht genau so aus, wie ich mir einen gut aussehenden Mann vorstelle. Natürlich, denke ich bitter.
Er sagt auch nichts. Meine Beine sind nach dem langen Galopp wie Gummi.
Kommst du zu mir zurück? Ich traue mich diese Frage nicht zu stellen, zu sehr fürchte ich mich vor der Antwort.
»Wieso warst du auf Whistling Wing?«, will ich wissen, aber er erwidert nichts darauf.
Ich forsche in seinem Gesicht. Haben sie es geschafft, ihn wieder ganz auf ihre Seite zu ziehen? Und wenn sie es geschafft haben, was will er dann von mir?
»Sind Kat und Miss Anderson nicht da?«, rate ich.
Nur mit meinen Schenkeln zwinge ich die Graue dichter an den Schwarzen, so dicht, bis sich unsere Beine berühren. Sieh mich an und denke dabei nicht an Sam. Oder Lilli-Thi. Sieh mich einfach nur an. Ich weiß, dass ich es schaffen kann. Mit meiner Liebe kann ich bewirken, dass er sich von ihnen abwendet.
»Traut ihnen nicht«, flüstert er und ich versinke in seinen Augen. »Auch wenn ihr meint, zu ihnen zu gehören.«
»Wir gehören zu ihnen«, verbessere ich ihn. Sieh mich an.
Ich höre auf zu sprechen, als er mit einer Hand den Führstrick, den ich mir um die Taille gewickelt habe, ergreift und mir plötzlich intensiv auf meine Lippen blickt. »Fragt sie, was sie tun werden, wenn ihr euch widersetzt«, sagt er, während er langsam an dem Strick zieht.
Ich lasse die Zügel los und stemme meine Hände gegen seine Brust. Auch ich blicke auf seine Lippen und ein zartes Kribbeln erfasst meinen ganzen Körper.
»Wieso?«, will ich wissen und lehne mich ein wenig gegen seine Bemühung, mich an sich zu ziehen.
»Frag sie«, wiederholt er und zieht noch ein wenig mehr an dem Führstrick.
»Und was passiert, wenn du dich Sam widersetzt? Hast du dich das schon gefragt?« Inzwischen sind wir uns so nahe, dass ich mich mit aller Kraft gegen seine Brust stemmen muss, um nicht näher zu ihm gezogen zu werden. »Aber das musst du wahrscheinlich nicht wissen«, füge ich hinzu. »Denn du widersetzt dich ja nicht. Du tust ja brav, was man dir aufgetragen hat.«
Er antwortet mir nicht. Mich kriegst du jedenfalls nicht auf die Seite von Sam, denke ich und sehe ihn weiter an. Plötzlich lässt er mich los und ein spöttisches Lächeln umspielt seine Lippen.
Er wendet den Schwarzen und galoppiert aus dem Stand an. Im nächsten Moment schon bin ich dicht hinter ihm. Die Pferde strecken sich, wir schießen in einem irrsinnigen Tempo auf eine Kuppe zu, der Wind nimmt mir fast den Atem. Immer, wenn Gabe uns mit dem Schwarzen zwingt, die Richtung zu ändern, buckelt die Graue ein paar Mal, als wollte sie mich halbherzig losbekommen. Manchmal verschwindet ihr Kopf nach unten und ich zerre ihn wieder nach oben, wohl wissend, dass ich es dann niemals schaffen würde, auf dem Rücken zu bleiben, wenn sie alle viere gleichzeitig in den Boden stemmt. Manchmal scheint sie auszuschlagen und die Hinterhufe schaffen es irgendwie, fast neben meinem Körper aufzutauchen. Nach ein paar Minuten fällt sie in einen gleichmäßigen, schnellen Galopp, und während ich mich tief über ihren Hals beuge, macht mein Herz aufgeregte Hüpfer.
Hier ist nichts, was uns stoppen könnte. Die Wüste erstreckt sich bis in die Unendlichkeit, bis zum Horizont, bis dorthin, wohin uns Granny nicht erlaubt hat zu laufen. Meine Augen tränen vom Gegenwind.
Langsam verfliegt bei mir die Angst, vom Pferd zu fallen. Langsam nimmt das Bedürfnis der Stute ab zu buckeln. Endlich kann ich mich aufrichten, verschmelze mit dem Rhythmus der Stute und werfe einen Blick zu Gabe hinüber.
Jetzt bin ich es, die die Graue dazu zwingt, einen Haken zu schlagen.
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