Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
meinen Lungen. Aber der Druck auf meiner Brust bleibt. Der Druck, schneller zu atmen, als es gut für mich ist.
Ein zweiter Ausgang. Es gibt doch den Ausgang unter dem Himbeerbaum. Das ist die Lösung.
Langsam. Ruhig. Ich kann das. Ich kann das auch ohne Kat. Ohne Dawna. Für einen Augenblick lasse ich das Feuerzeug aufflammen. Die Decke ist niedrig, der Gang führt geradeaus weiter. Kann nicht schwer sein, auf die andere Seite zu kommen. Das Feuerzeug erlischt wieder.
Ich gehe los, in die Dunkelheit, und während ich mich durch die undurchdringliche Schwärze taste, denke ich darüber nach, was ich lernen soll. Es kann kein Spruch sein, denn Kat hat mir keinen gesagt. Gerade hatten wir uns mit Gedankenlesen beschäftigt. Aber ich kann hier bei niemandem Gedanken lesen, ist ja keiner da.
Ich stoße gegen die Wand, lasse wieder das Feuerzeug aufflammen. Ganz ruhig. Ein. Aus. Atmen, Weitergehen.
Ich stoße schon wieder gegen eine Mauer, das Feuerzeug geht nur ganz kurz an, ich sehe die Tür vor mir. Hinter dieser Tür haben wir vor ein paar Wochen Miley gefunden. Die Tür geht mit einem Knarren auf, mein Herz schlägt jetzt so schnell, dass ich das Gefühl habe, gleich ohnmächtig zu werden. Das Feuerzeug springt wieder nur ganz kurz auf, aber der Moment genügt, um den Lichtschalter direkt vor meinen Augen zu entdecken.
Elektrisches Licht flammt auf.
Gut.
Mein Herz schlägt noch immer wie wild. Aber die Helligkeit macht mich etwas ruhiger. Ich bleibe mitten im Raum stehen. Wahrscheinlich hat es keinen Sinn, zu der anderen Tür zu gehen, die ist von außen verschlossen. Das Wichtigste ist herauszufinden, was ich lernen soll.
Es muss mit dem Gedankenlesen zu tun haben, das war es, was ich nicht lernen wollte.
Mein Blick bleibt an einem grauen fünfeckigen Stein hängen, der in der Mitte des Raums am Boden eingelassen ist. Er ist so glatt poliert, als hätte jemand mit sehr viel Mühe diesen Stein abgeschliffen oder als wäre er hunderttausendmal angefasst worden. Langsam gehe ich in die Hocke und beuge mich weiter zu dem Stein hinab. Es ist nicht irgendein Stein, er hat eine Bedeutung. Winzig klein sind Zahlen eingehauen.
N 37 09. Danach noch eine Zahl, die man nicht erkennen kann. Ich lasse meine Finger über den Stein gleiten und ertaste eine weitere Zahlenreihe, die aber so verwittert ist, dass man sie nicht mehr lesen kann. Und dahinter in wunderschönen Lettern: Whistling Wing. Meine Hand bleibt auf der glatten Oberfläche liegen, fährt die Zahlenreihe immer wieder entlang. Meine Gedanken sind nicht bei diesen Zahlen, nicht bei diesem Buchstaben, sondern bei Kat. Sie wird mich wieder rauslassen, und zwar wenn ich ihre Gedanken lesen kann, da bin ich mir sicher. Was hat sie gesagt? Du musst dich auf diese Person einlassen. Du musst sie lieben, ihre Vergangenheit. Ihre Gegenwart … Meine Fingerspitzen fühlen sich komisch kitzelig an, wenn ich über den Stein wische, aber ich kann trotzdem nicht damit aufhören. Dort, wo die Zahlen eingehauen sind, ist es ein ganz besonderes Gefühl. Vorsichtig gleite ich mit meiner linken Hand darüber, es ist, als würde ich Blindenschrift lesen. N 37 09. Zwei weitere Zahlen. Dann etwas, das ein Buchstabe sein könnte, und wieder drei zweistellige Zahlen. Meine Hand bleibt liegen, denn ich erkenne ein Muster, das ich mir in den letzten Tagen so oft angesehen habe, dass es mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Auf meinen Blättern sieht es etwas anders aus, weil es keine Buchstaben sind, wie ich sie kenne, sondern chinesische Zeichen.
Buchstaben und Zahlen.
N.
N wie Norden.
Wie ein Puzzle setzen sich die Gedankenteile zusammen. Es ist keine Aneinanderreihung von unsinnigen Zahlen. Das, was ich hier vor mir habe, sind Koordinaten.
Die Koordinaten von Whistling Wing.
Der Grundstein von Whistling Wing. Plötzlich ergibt alles einen Sinn.
Die Zahlen auf den Blättern sind auch Koordinaten.
Ich muss sofort hier raus. Ich muss sofort zu den Blättern und sie mir genauer ansehen.
Während ich mich durch den Gang zurücktaste, kämpfe ich nicht mit meiner Atmung, sondern nur damit, nicht ständig gegen eine Wand zu laufen. Endlich bin ich wieder bei der Falltür.
Okay.
Kat.
Ich denke an die erste Situation, in der ich mit ihr zu tun hatte. Sie hatte Steaks gebraten und unglaublich sympathisch gewirkt. Meine Zeigefinger pressen sich an meine Schläfen. Kats Vergangenheit ist der Orden. Sie ordnet sich Lucille de Fleurs unter, als gäbe es nichts anderes. Jetzt
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