Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
ablehnen, sondern musst ihr mit Liebe begegnen. Versetz dich in die Person hinein, in ihre Vergangenheit und in ihre Gegenwart, und dann sieh in ihre Zukunft.«
Quatsch, denke ich nur und die Müdigkeit dreht sich in meinem Kopf.
»Indie«, sagt Kat scharf.
»Ja«, antworte ich brav. In Wirklichkeit denke ich an Gabe, ob er irgendwann noch mal Kontakt mit mir aufnimmt oder ich mit ihm. Ich merke, dass Kat sich in meine Gedanken schleicht, und denke schnell an Dawna.
Dawna. Dawna. Dawna. Die tolle Dawna. War ja wohl wieder voll klar, dass sie das mit dem Schutzkreis sofort hinkriegt, ohne zu üben, ohne zu denken, einfach so!
»Indie. So klappt das nicht«, erklärt mir Kat ruhig.
Die Sonne geht auf. Sie färbt erst den Himmel, dann ergießen sich ihre Strahlen über die frostige Weite der Wüste. Ich fühle eine Einsamkeit in mir, die mich todtraurig macht.
»Sieh mich an und versuche, meine Gedanken zu lesen«, befiehlt Kat. Ich habe längst schon wieder vergessen, wie das funktionieren soll. Kat fixiert mich ohne eine erkennbare Regung. Ihre kaffeebraunen Augen sind klar. War es ein Spruch, an den ich denken sollte? Eine Wolke? In Kats Augen spiegelt sich nur die Unendlichkeit der Wüste und mir wird kalt.
»Kaffee. Ich sehe Kaffee und Pancakes«, schlage ich vor.
»Du hast es nicht einmal versucht«, antwortet Kat sehr ruhig.
Nein. Verfickter Bullshit. Nein. Wieso darf ich nicht laufen, wie Dawna. Ich kann den ganzen Tag laufen, ohne müde zu werden, ich kann springen, ich kann auf Bäume klettern. Wieso diese ganze Gedankenlese-Schutzkreis-Kacke?
»Okay.« Kat ist noch immer sehr ruhig, vielleicht ein bisschen zu ruhig. »Man kann alles auf zwei Arten lernen. Auf diese Art scheint es bei dir nicht zu funktionieren.«
Sie sieht mich freundlich an, aber die Freundlichkeit macht mir Angst. Ich bin mir sicher, dass sie meine Gedanken gelesen hat, in denen jedes zweite Wort Scheiße, Fuck und Bullshit war.
Inzwischen ist die Sonne ganz aufgegangen. Es ist jetzt hell, die graublauen Schatten sind verscheucht, ich gehe hinter Kat her, die sich nicht mehr um mich kümmert. Vor uns liegt Whistling Wing, so friedlich in der goldenen Morgensonne, ruhig und scheinbar verlassen. Kat geht zielstrebig auf den Kräutergarten zu. Der Frost hat lange Eiskristalle an die Kräuter gezaubert. In der Mitte treffen sich zwei Wege, verbinden Ost mit West und Nord mit Süd. Und genau dort findet man, wenn man ein wenig sucht, eine Falltür, die Tür zu den Katakomben, zu der Hölle. Sie klappt die Falltür nach oben und sieht mich an. Ich muss nicht Gedankenlesen können, um zu wissen, was sie will.
»Was soll ich dort unten lernen?«, frage ich misstrauisch.
»Geh hinunter«, sagt sie nur. »Du wirst es wissen.«
Das Bild des toten Kaninchens schiebt sich zwischen mich und Kat und mein schlechtes Gewissen ist wieder da.
Ich klettere die eisernen Bügel hinunter und es kommt mir wirklich so vor, als würde ich in die Hölle steigen.
Dann fällt über mir die Falltür zu.
»Wenn du es gelernt hast, kannst du wieder heraus …«
»Kat?«, wispere ich. Wo ist sie? Direkt hinter mir? Vor mir? Ich drehe mich einmal um mich selbst, aber ich habe das Gefühl, dass ich ganz alleine bin. »Kat?«, sage ich lauter, greife in die Tasche meines Kapuzenpullis und ziehe ein Feuerzeug heraus. Es flammt kurz auf und ich sehe, dass ich allein bin.
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Ich bekomme sofort keine Luft mehr.
Ruhig. Ein. Aus. Ein. Aus, denke ich mit Dawnas Stimme.
»Fuck!«, brülle ich nach oben. »Lass mich sofort raus! Ich lerne gar nichts. Gar nichts! Nicht da unten, nicht allein …« Ich schnappe nach Luft und taste mich zurück die Treppe hinauf. Jetzt ganz ruhig. Ich drücke mich gegen die Falltür, aber sie geht nicht auf. Wütend schlage ich gegen das Holz.
»Lass mich raus!«, schreie ich. »Sofort! Ich krepier hier unten, ich …« Schon wieder schnappe ich nach Luft.
Du bist stärker als deine Angst.
Ich lehne mich gegen die Wand und schließe die Augen.
Du bist stärker als deine Angst.
Du wirst jetzt schnell lernen, was du lernen sollst, und dann lässt sie dich wieder heraus.
»Was soll ich lernen?«, rufe ich nach oben, aber mir antwortet niemand.
»Fuck!«, schreie ich noch einmal. Ein bisschen einfacher kann sie es mir doch mal machen!
Ich versuche, mich eine Weile in meinen Gedanken zu verkriechen. Mir vorzustellen, ich wäre draußen, weit, sehr weit über mir der lichtblaue Himmel. Die klare Luft in
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