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Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit

Titel: Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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müde. Endlich ein kleiner Hinweis auf menschliche Schwäche.
    »Soll er neben dem Grab seiner Mutter liegen?« Eine neue Stimme. Die Worte dehnten sich über ein ganzes Zeitalter, aber sie hatten ein Echo irgendwo in mir, und ich sah den Mann, von dem sie stammten. Der alte Lord Nossar, der uns auf den Schultern getragen hatte, Will und mich, vor einem Leben. Der alte Nossar kam, um mich ein letztes Mal zu tragen. Ich hörte die Antwort, zu leise und zu tief, um sie zu verstehen. Meine Augen wurden blind. Ich spürte, wie mir der Boden über die Wange strich, und dann fühlte ich nichts mehr.

 
38
     
    Ich schluckte Dunkelheit, und Dunkelheit schluckte mich.
    Ohne Licht, ohne das Klopfen des Herzens, um die verstreichende Zeit zu zählen, lernt man, dass man keine Angst vor der Ewigkeit haben muss. Wenn man ihr einfach überlassen bleibt, kann eine Ewigkeit im Dunkeln eine willkommene Alternative zu den üblichen Angelegenheiten des Lebens sein.
    Dann kam der Engel.
    Das erste Glimmen fühlte sich nach Papierschnitten in meinen Augen an. Das Licht wuchs von einem fernen Punkt, und Splitter aus Licht bohrten sich mir in den Hinterkopf. Eine Dämmerung kam, und in einem Moment, oder in tausend Jahren, floh die Dunkelheit, ohne einen Schatten zu hinterlassen, der an sie erinnerte.
    »Jorg.«
    Die Stimme einer Frau. Sie floss durch die Oktaven, enthielt ein Echo aller freundlichen Worte und eines jeden erfüllten Versprechens.
    »Hallo.« Meine Stimme klang nach knackendem Schilf. Hallo? Aber was sollte man zum Himmel sagen, wenn er einen empfing? Zwei Silben, beide voller Schwäche und Zweifel.
    Die Frau breitete die Arme aus. »Komm zu mir.«
    Nackt hockte ich da, auf einem Boden so weiß, dass sich kein Schatten auf ihn wagte. Ich sah den Schmutz an meinen Gliedern, wie Adern, und Blut, Blut aus der Wunde, die mich getötet hatte, getrocknet und schwarz wie die Sünde. »Komm.«
    Ich versuchte, sie anzusehen, doch nichts an ihr schien stabil und konstant zu sein. Als seien Konturen und Schärfe etwas für Sterbliche, eine Reduktion, die ihre Essenz nicht erlaubte. Sie war blass, hier mehr, dort weniger. Sie hatte die Augen von allen, die jemals Anteil genommen hatten. Und Engelsflügel, die hatte sie ebenfalls, aber nicht weiß und fedrig, sondern Flügel für den Flug. Die Aura des Himmels umgab sie. Manchmal schien ihre Haut aus Wolken zu bestehen, die sich übereinander schoben. Ich wandte den Blick ab.
    Dort hockte ich, ein Knoten aus Fleisch und Knochen, im Licht der Engelsfrau nur von Schmutz und altem Blut kenntlich gemacht.
    »Komm zu mir.« Die Arme offen. Die Arme einer Mutter, einer Geliebten, eines Vaters, eines Freunds.
    Ich sah sie nicht an, aber trotzdem fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Ich fühlte ihr Atmen, ihr Versprechen von Erlösung. Es war nur nötig, den Blick zu heben, dann würde sie mir vergeben.
    »Nein.«
    Ihre Überraschung flatterte zwischen uns, wie Flügelschläge aus Licht. Ich fühlte Anspannung in den Kiefermuskeln und den bitteren Geschmack von Zorn, heiß und ganz hinten in meiner Kehle. Zumindest dies waren vertraute Dinge.
    »Leg den Schmerz beiseite, Jorg. Lass das Blut des Lamms deine Sünden abwaschen.« Es gab nichts Falsches in ihr. Sie stand transparent in ihrer Sorge. Der Engel hielt seine Geschenke in offenen Händen: Mitgefühl, Liebe … Mitleid.
    Ein Geschenk zu viel. Das alte Lächeln verzog meine Lippen. Ruhig und langsam stand ich auf, den Kopf noch immer gesenkt. »Das Lamm hat nicht genug Blut für meine Sünden. Du solltest besser ein Schaf für mich opfern.«
    »Keine Sünde ist zu groß, um sie nicht zu bereuen«, sagte die Engelsfrau. »Es gibt nichts Böses, das nicht überwunden werden kann.«
    Sie meinte es ernst. Keine Lüge kam über jene Lippen. Zumindest die Wahrheit war offensichtlich.
    Ich begegnete ihrem Blick, und die Woge aus Liebe, so groß und bedingungslos, trug mich fast fort. Ich widersetzte mich, stemmte mich ihr entgegen. Irgendwie gelang es mir, erneut zu lächeln, und ich verfluchte dabei meine Schwäche.
    »Nur wenige Sünden habe ich unangetastet gelassen.« Ich trat einen Schritt auf sie zu. »Ich habe geflucht, in der Kirche. Ich habe den Ochsen meines Nachbarn begehrt. Und nicht nur das. Ich habe ihn auch gestohlen, ihn ganz gebraten und in maßloser Völlerei verzehrt, eine tödliche Sünde, die erste der sieben, an der Brust meiner Mutter gelernt.«
    Der Schmerz in ihren Augen schmerzte mich, aber ich hatte ein Leben lang

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