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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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hat das angedeutet.«
    »Wo ist er?«
    »Oben. Er hat mich gleich geschickt, damit ich mich um Neéls Wunden kümmere. Weißt du, er meint es nicht böse. Du musst das verstehen. Es ist schwer für ihn, die Jungen zu Männern zu machen, die in dieser Welt etwas bewegen können. Dazu braucht es gehorsame Männer, die etwas aushalten. Sie sind nicht wie wir, sie ...«
    Ich versuchte, ihr zu folgen, aber ich kam nicht mehr mit. Clouds Gründe konnten mir gestohlen bleiben. Wäre er zurückgekommen -immerhin war das hier sein Wohnzimmer -, hätte ich ihn mit dem Stuhlbein und der Glasflasche zur Tür hinausgeprügelt. Mein Zorn brodelte und verkochte die Vernunft zu einer zähen Masse.
    Neél quoll das Blut aus dem Kopf, aus der Wunde sowie aus der Nase, er bewegte sich am Rande der Bewusstlosigkeit. Vielleicht war eine Ohnmacht das Beste - schließlich würde Mina die Kopfwunde nähen müssen. Ich hielt seine Hand, während sie ihn versorgte, die andere immer in der Nähe meiner provisorischen Waffe. Nur vorsichtshalber.
    Als Mina den Raum verließ, um das Nähzeug zu holen, schlug Neél die Augen auf. Zu meinem Erstaunen schien er vollkommen klar zu sein. »Weißt du, wann er mich das letzte Mal verprügelt hat?«, flüsterte er heiser. »Mit vierzehn. Ich fühl mich gerade ganz klein.«
    Ich sah an ihm herunter und musste sachte lächeln. Mit seinem ausgestreckten Körper nahm er fast das ganze Zimmer ein. »Du solltest nicht reden.«
    »Dann erzähl mir was, vielleicht bin ich still, wenn ich zuhören muss.«
    »Mina bekommt dich wieder hin«, sagte ich. »Du weißt schon. Calendula-Salbe und Malve. Wilde Malve.«
    »Joy? Wenn du von Mina sprichst, muss ich an die Nadel denken. Nadeln mag ich noch weniger als Falter. Erzähl mir was anderes.«
    Was sollte ich ...? Ich hatte die Frage noch nicht zu Ende gedacht, als mir die Antwort einfiel. »Als ich vierzehn war, hatte meine Schwester Penny ihren ersten Freund. Nachts, wenn sie dachten, ich schlief, haben sie sich immer Dinge zugeflüstert. Kleine, nette Worte. Mir hat das gefallen. Manchmal habe ich das auch getan. Ich habe mir vorgestellt, ich würde diese Dinge demjenigen erzählen, den ich ... den ich ...« Den ich irgendwann mal lieben würde. Aber das konnte ich ihm ja schlecht sagen. »Ist ja auch egal«, sagte ich stattdessen. »Ich hätte einfach nie gedacht, ihn unter den Percents zu finden. Ist doch verrückt, oder?«
    Er blinzelte langsam und bemüht. »Joy? Das ist sehr ... wie heißt das Wort?«
    »Melodramatisch.«
    »Ja. Man könnte meinen, ich liege im Sterben. Liege ich im Sterben, Joy?«
    • • •
    Er lag nicht im Sterben. Zumindest war das Minas Überzeugung, sie sprach von Quetschungen des Kehlkopfs und der Lunge, einer schweren Gehirnerschütterung und hundert anderen Dingen. Ach, und sie betonte, Cloud würde Neél lieben, nur deshalb wäre er so wütend geworden. Natürlich.
    Aber ob Neél nun starb oder nicht - er würde in seinem Zustand niemals den Weg zum Gefängnis schaffen. Um ehrlich zu sein, hatte es ihm schon Probleme bereitet, sich auf die Couch zu hieven.
    Mina ordnete an, dass er über Nacht dortbleiben sollte, und entschied, mich zum Gefängnis zurückzubringen. Ich verließ ihn nur äußerst widerwillig; eigentlich tat ich es nur, weil sie mir drohte, dass Cloud jeden Ärger, den ich verursachte, an Neél auslassen würde.
    Als wir aus dem Haus traten, entdeckte ich Amber. Ich erschrak. Die ganze Zeit hatte ich kaum an sie gedacht. War sie der schmale Schatten gewesen, der an der Wohnzimmertür vorbeigehuscht war? Wer sonst. Sie hatte uns beobachtet. Jetzt stand sie an einem Fenster in der oberen Etage, die Fingerspitzen gegen die Scheibe gelegt, und sah zu mir herunter. Ich lächelte ihr zu. Sie erwiderte es mit frostkalter Miene. Auf einmal fraß meine Angst mich fast auf.
    »Kannst du bitte bei Neél bleiben?«, fragte ich Mina. Meine Stimme wackelte ein wenig. »Ich finde den Weg auch allein.«
    Minas Lächeln war voller Nachsicht und ich wusste augenblicklich, was sie dachte. Sie nahm an, ich wollte fliehen. Tröstend tätschelte sie mir den Rücken. »Keine Sorge. Cloud wird ihm kein Haar mehr krümmen.«
    Wie sollte ich ihr beibringen, dass Cloud meine geringste Sorge war?
    • • •
    Das Zimmer hatte sich in keiner Nacht derart leer angefühlt. Die Leere bedrängte mich, sie schlich sich immer näher an mich heran, als wollte sie mich ersticken. Immer wenn ich dem Einschlafen ganz nah war, fühlte ich, wie mir der

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