dark canopy
fassungslos gen Dach gerichtet, von wo ein Fluch ertönte.
Und dann erneut mein Name. »Joy! Joy, schnell! Die Hecke!«
»Verdammter Mistkerl!«, brüllte Willie. »Ich bringe dich um, Matthial! Dich und deine Schlam- Aarrgh!« Die Beschimpfungen zerrissen zu einem schmerzerfüllten Schrei. Die Percents hatten ihn erreicht. Dumpfe Schläge hallten durch die Nacht. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten und mich in einem Kellereingang versteckt.
Matthial.
Matthial hatte auf Willie geschossen.
Es gab keinen Zweifel, sosehr ich auch versuchte, mir einzureden, dass ich mich irrte. Der Bolzen war ihm von vorne und schräg oben ins Bein gedrungen, knapp oberhalb seines Knies hatte ich die Befiederung erkennen können. Nur aus Matthials Richtung war dieser Einschlagwinkel möglich. Er hatte auf ihn geschossen, um mir Zeit zu geben.
Er hatte ihn für mich geopfert.
Exakt in diesen Worten brannte sich die Tatsache in meinen Sinn und betäubte meine Gedanken. Ich warf mich auf die Knie, ohne etwas zu spüren, kämpfte mich geduckt durch die dornige Hecke und kam auf einem Gehweg wieder auf die Füße.
Auf einem der nahen Dächer sah ich Matthials Silhouette, er gab mir Handzeichen, wollte, dass ich weglief, und musste sich unter einem Bolzen hinwegducken, der von irgendwo auf ihn abgeschossen wurde. Dann drehte er sich um, verschwand und ließ mich mit Willies Schreien in den Ohren allein. Ich lief. Taumelte. Schmiss mich herum, weil ich die Orientierung verloren hatte.
»Reiß dich zusammen!«, rief ich mir selbst zu, rieb mir über die tränenden Augen und biss die Zähne aufeinander. Panik war tödlich, erinnerte ich mich und verbot sie mir. Ein tiefes Einatmen brachte die rettende Idee.
Der Kanal. Die Abwässer wurden durch den Kanal entsorgt, daher bot er einen gewissen Schutz vor dem Geruchssinn der Percents. Viele Rebellen waren der Stadt durch den Fluss entflohen, auch wenn genug andere den Versuch mit dem Leben bezahlt hatten. Meine Familie hatte überlebt. Ich hatte überlebt. Die Stromschnellen waren gefährlich, aber in dieser Nacht mein geringstes Problem. Ich hörte Sirenen aufheulen. Die Luft brannte, wir mussten wirklich verschwinden. Kurz lauschte ich nach Willie, doch seine Schreie waren verstummt.
»Verzeih mir, Will.« Ich verbannte ihn aus meinen Gedanken und drückte mich eng an einer Hauswand entlang Richtung Osten.
Und dann tauchten sie vor mir auf. Sie bogen beinahe gemächlich um die Ecke, schritten, wie einem unsichtbaren Portal entstiegen, auf mich zu. Umzudrehen und in die andere Richtung zu fliehen, war nicht möglich, da eine zweite Gruppe sich den Weg durch die Hecke schlug. Einige brüllten mir etwas zu, ihre Stimmen kamen aus allen Richtungen. Ich verstand nur zwei von ihnen.
Von vorne kam: »Gib auf!«
»Es ist aus!«, rief einer hinter mir.
Okay. Fuck. Vorbei.
Ihre Waffen waren auf mich gerichtet, ich sollte wohl die Hände heben. Sie waren zu schwer. Nichts zu machen. Meine Knie gaben nach, Schmerz biss mir durch die Oberschenkel, als ich zusammensackte. Einen Moment spürte ich den rauen Asphalt kühlend an der Stirn und an den Händen, dann wurde ich an den Armen hochgerissen. Zwei von ihnen zerrten mich mit sich, ich hatte Mühe, die Füße zu bewegen, und stolperte. Sie stießen und schubsten mich zwischen sich her. Ein weiterer band mir die Hände auf dem Rücken zusammen. Ich bekam einen Strick um den Hals wie ein Hund und wurde abgeführt.
• • •
Die Stadt war mir fremd in dieser Nacht.
Hinter den Fenstern gafften leere Gesichter nach draußen. Ein paar Menschen riefen Gehässigkeiten. Sie meinten die Percents, doch sie beschimpften mich, da ich die Illusion von Frieden beschmutzt hatte, an die sie sich eben noch geschmiegt hatten.
Ich kannte die Wege, die ich gehen musste, doch noch nie waren sie mir so weit erschienen. Mit jedem Schritt schienen meine Füße am Asphalt zu kleben, als würde er in der Kälte schmelzen und mich verschlingen wie Morast. Das Geschwätz der Männer, die mich gefangen genommen hatten, kam aus weiter Ferne. Ich bemühte mich, Informationen herauszuziehen, aber ich hörte sie nur wie durch Wasser.
Dafür erinnerte ich mich klar daran, was man uns gelehrt hatte: Schockzustände betäuben den Körper, wie es sonst nur Drogen können. In Gefangenschaft ist der Schock eine Wohltat und hilft dir, stark zu bleiben.
Früher hatte ich daran geglaubt. Doch nun war von Stärke nichts mehr übrig. Sie hatte mich im Stich gelassen
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