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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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überlagerte das Schreien. Ich warf den Kopf herum. Neél lag in seinem Bett, er drehte sich gerade um, brummte eine harmlose Beschimpfung und boxte gegen die Wand.
    Es brauchte einen Moment, bis ich den Schlaf hinreichend abgeschüttelt hatte, um zu begreifen, dass es nicht Neél war, der schrie.
    »Was ist das?«, fragte ich, als er sich träge aufrichtete.
    Neél strich sich übers Haar, kontrollierte, ob es glatt lag. »Da schreit einer.«
    »Ach, sag bloß. Warum?«
    Er sah mich finster an, was morgens immer besonders beängstigend war, denn vor dem Frühstück war seine Laune mieser als die eines Hundes, der nach einer großen Portion Knochen unter Verstopfung leidet.
    »Folter, Soldat.« Vollkommen ungerührt stemmte er sich aus dem Bett und zog sich um, wobei er mir wie immer den Rücken zuwandte.
    Ich machte es ebenso und unterdrückte den Impuls, mir die Ohren zuzuhalten. Das Geschrei war zu einem Wimmern abgeklungen und verlor sich dann. Ich wusste, dass Folter bei den Percents üblich war. Aber ich war noch nie Zeuge geworden. Ohne zu wissen, was der Gefolterte getan hatte oder wer er war, fühlte ich mit ihm. Sie hatten kein Recht, so mit ihm umzugehen. Und wenn es der widerliche Giran ist?, fragte ein zynisches Stimmchen irgendwo hinter meiner Stirn.
    Auch dann nicht. Ich straffte die Schultern. Persönliche Differenzen durften nie mächtiger werden als Grundsätze. Falsch blieb falsch, auch wenn meine Gefühle anderes flüsterten.
    In dem Augenblick, als ich den Gedanken dachte, zuckte ich zusammen wie von einem giftigen Tier in den Nacken gestochen. Ich hatte erlebt, wohin es führte, wenn man sich von Gefühlen leiten ließ. Es waren nicht Neéls Schreie, die ich im Traum gehört hatte.
    Es waren Willies. Denn ihn hatte ich umgebracht.

20
    ich bin hier.
aber wo mag ich hingehören?
    An diesem Tag war alles anders als sonst. Neél brachte mich in einen Gemeinschaftsraum, in dem die anderen Soldaten an zwei langen Tischen saßen und Brot aßen, dazu Käse, von dem sie mit den Händen Stücke abbrachen. Niemand hier besaß ein Messer.
    »Denk daran, was ich dir gesagt habe«, murmelte Neél mir zu, dann wandte er sich ab und ging. Es klang weniger nach einer Anweisung als nach einer Warnung.
    Ich ließ den Blick über die Männer schweifen, fing ein erfreutes Lächeln von Brad auf, erwiderte es und setzte mich zu ihm. Es war mir egal, wie Neél darüber dachte. Vermutlich hasste Brad Giran noch mehr, als ich es tat. Wie kam ich auf die Idee, er könne loyal zu ihm stehen?
    Er erkundigte sich, wie es mir ging und ob ich Kontakt nach draußen hatte. Ich berichtete von Amber: Es tat gut, über sie zu sprechen. Und er erzählte von seiner Frau, die er seit Monaten nicht gesehen hatte, obwohl sie in der Stadt lebte. Leider hatte er seine Mahlzeit beendet und musste mich allein lassen, ehe ich mich traute, ihn nach diesem Optimierungsprogramm zu fragen.
    Ich wechselte nur ein paar Worte mit den anderen Soldaten. Sie alle würden meine Gegner werden. Wenn es zum Chivvy kam, dann mussten sie gefangen werden, um mir die Zeit zu verschaffen, die ich brauchte, um zu verschwinden. Meine Chance war meine Schnelligkeit und mein Talent, mich flink im Wald zu verstecken. Dazu musste ich allein sein. Besser, ich gewöhnte mich nicht an Kameraden.
    Ich versuchte, ihre Gespräche zu belauschen, doch ich war es nicht mehr gewohnt, dass Menschen durcheinanderredeten. Ihre Stimmen waren eintönig und klangen alle gleich. Ich konnte sie nicht unterscheiden und vernahm nur ein auf- und abschwellendes Rauschen, durch das einzelne Worte durchschimmerten, die zusammen keinen Sinn ergaben. Ihnen zuzuhören, war, wie in einen Schneesturm zu schauen, mit dem aussichtslosen Versuch, sich auf eine einzige Flocke zu konzentrieren.
    Ich fühlte mich fremd.
    Zur Ablenkung hielt ich mich daran, so viel Brot zu essen, wie ich nur konnte, auch wenn es fad schmeckte. Es gab immer genug zu essen im Gefängnis, aber nur selten Brot. Gutes, so wie Penny es backte, hatte ich schon ewig nicht mehr gegessen. Dieses hier war besser als keins und solange ich kaute, erwartete niemand von mir, dass ich sprach.
    Nach und nach verließen die Soldaten den Raum. Einige wurden von Percents abgeholt, andere durften sich scheinbar frei bewegen, denn sie gingen allein. Alle stellten ihre Blechteller auf einen Wagen, der von einer alten Frau mit grauer Haut und beinahe weißem Haar fortgeschoben wurde. Mein Teller blieb zwischen meinen Händen auf dem

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