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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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dieselbe Farbe hatte wie eins meiner verwaschenen Hemden, das einmal rosa gewesen war. Über jedem Fenster befand sich eine bogenförmige Freske, aber die Motive waren herausgeschlagen. Es gab sogar einen Balkon mit Brüstung aus eleganten Steinsäulen, darüber konnte man noch die Reste von Verzierungen erahnen.
    Neél hob ein Steinchen auf und warf es in ein offen stehendes Fenster im zweiten Stock. Ich hörte kein Klackern, ich hörte überhaupt nichts. Was immer da oben war - nackter Steinboden klang anders.
    Ich wollte Neél gerade fragen, was für ein Anwesen das war, da wurde die Haustür geöffnet und ein Percent lugte heraus. Es war Graves, ich erkannte ihn am Wollpullover. Auch sein Haar war unordentlich wie am Tag zuvor. Er gab Neél ein Handzeichen. Es erinnerte mich schmerzlich an die geheimen Gesten, mit denen Matthial und ich uns verständigt hatten.
    »Wir können reingehen«, sagte Neél und wir stiegen die Stufen zur Tür hoch.
    Dicht über dem Boden abgebrochene Marmorsockel, auf denen vielleicht einmal Statuen den Eingang flankiert hatten, erinnerten an den Glanz, in dem das Haus früher erstrahlt haben musste. Heute trug dieser Glanz Schleier aus Staub und Spinnweben. Doch ein bisschen der verblichenen Schönheit war noch da.
    »Sie ist also doch schon so weit?«, fragte Graves Neél mit freundlichem Spott und begrüßte erst ihn und dann mich mit einem sanften Schlag auf die Schulter.
    Neél atmete tief aus. »Ich hoffe es.«
    »Wovon redet ihr?« Ich stellte erstaunt fest, dass trotz der kryptischen Andeutungen keine Furcht in mir aufkam. Eher war ich neugierig.
    Graves trat neben mich, während Neél ein paar Schritte vorging und uns durch einen hallenartigen Raum zu einer breiten Treppe führte, die in einem Halbkreis auf eine Galerie im ersten Stock zulief.
    »Was du nun sehen und hören wirst, muss unbedingt unter uns bleiben«, begann Graves. Wieder berührte er mich kurz an der Schulter, als wären wir Vertraute. Mir war nicht ganz klar, ob mir das unangenehm war. Es sollte mir unangenehm sein. »Du wirst Dinge erfahren, die du vermutlich nicht für möglich gehalten hättest, und du bist nur deshalb hier, weil wir denken, auf deine Verschwiegenheit zählen zu können.« Ich antwortete nicht, aber das schien er auch nicht zu erwarten, denn er machte keine Pause. »Das, was in diesen Mauern passiert, kann das Land verändern und für die Menschen und Percents, die hier leben, die ganze Welt, die sie kennen. Aber wir dürfen nichts überstürzen. Wir werden beobachtet. Von höchster Stelle - der Triade. Also versprich uns drei Dinge: Kein Wort - zu niemandem. Keine falschen Schlüsse. Keine voreiligen Aktionen. Hast du mich verstanden?« Ich konnte nur nicken.
    Von der Galerie aus führte eine weitere Treppe in den zweiten Stock. Ich blickte nach oben und erstarrte fast in Ehrfurcht. Das Dach bestand aus einer Glaskuppel. Sie war unbeschädigt. Perfekt, nur ein bisschen Laub klebte an den Scheiben. Mit etwas Fantasie konnte man sich vorstellen, dass mittags, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, die Strahlen bis auf den Boden reichten. Dann wäre das Haus vermutlich durchflutet von Licht. Zumindest wenn es Dark Canopy nicht gäbe ...
    Wir erreichten eine Tür. Jemand hatte Buchstaben in das Holz geritzt und mit Kohle sorgfältig ausgemalt.
    FLAGG’S BOULDER
    Ich deutete darauf und sah Neél fragend an. »Was soll das heißen?«
    Doch es war Graves, der mit einem langen Schritt an meine andere Seite trat und antwortete. »Dieser Ort heißt so, wir haben ihn so genannt. Der Name stammt aus einem Buch. Einem alten Buch aus einer Zeit lange vor dem Krieg.«
    »Ihr habt Bücher?«
    Entschuldigend hob er beide Hände. »Nicht viele. Du magst Bücher?« In seiner Stimme schwang eine solche Begeisterung mit, dass ich ein Nein nicht übers Herz brachte.
    »Meine Schwester liebt Bücher«, sagte ich ausweichend. »Sie liest ganze Nächte lang und hat schon ganz schlechte Augen davon.«
    »Wirklich?« Graves lächelte nicht, er strahlte. Nie hatte ich einen Percent so glücklich gesehen. »Wie viele Bücher hat sie denn?«
    Ich fürchtete mich regelrecht davor, ihn zu enttäuschen. »Leider nur eins. Aber sie hat es Hunderte Male gelesen.«
    »Das kenne ich. Ich hatte auch lange Zeit nur dieses eine. Vielleicht kannst du mich deiner Schwester mal vorstellen. Dann könnten wir uns gegenseitig unsere Bücher ausleihen.«
    Die Antwort fiel mir schwer. Sollte mir die Flucht gelingen - und nur dann sah ich

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