Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Wolf. «Du kannst seine Gedanken hören?»
«Im Ernst?», sagte Sihana.
«Na ja», lächelte Miro. «Irgendwie hat er begonnen, mit mir zu reden. Ich höre seine Gedanken, und er hört meine. Ich kann es nicht erklären. Es ist einfach passiert.»
«Cool, ey», meinte Joash.
«Und das soll ich dir glauben?», empörte sich Aliyah eingeschnappt.
«Es ist wahr, Aliyah, ich schwör’s.»
«Ich glaub’s dir nicht. Du willst mich bloß auf den Arm nehmen. Du kannst überhaupt nicht mit Nayati reden.»
«Doch, im Ernst. Ich kann es.»
«Gut», meinte Aliyah und verschränkte provokativ die Arme. «Beweise es.»
«Wie?»
«Frag ihn, wann ich auf einer Türschwelle abgelegt wurde.»
«Am 25. Pitar im Jahr 17 nach der großen Nebelkatastrophe», antwortete Miro wie aus der Kanone geschossen. Aliyah schaute ziemlich verdutzt drein. Sie war sich sicher, dass sie dieses Datum den andern gegenüber nie erwähnt hatte.
Das kann doch nicht sein, dachte sie. Oder doch?
«Noch mehr Beweise gefällig?», grinste Miro vergnügt.
«Frag ihn nach meiner Lieblingsband», forderte ihn Aliyah nun auf.
Im selben Moment prustete Miro los und wieherte: «Du stehst auf die ‹Sphonx›?»
«Hey! Ich liebe die Sphonx!», warf Sihana dazwischen und klimperte aufgeregt mit den Augenlidern. «Ich habe sämtliche ihrer Hörscheiben zu Hause!»
«Da singe ich ja noch besser als diese Clowns», gluckste Miro und fing sich für diese Bemerkung einen sehr empörten Blick von Sihana ein.
«Mädchen», brummte Joash und verdrehte die Augen. «Wie kann man sich den Schrott nur reinziehn, ey.»
«Das ist kein Schrott!», konterte Sihana und legte ihren Arm verteidigend um Aliyah. «Ihr habt keine Ahnung von Musik. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Ihr seid die totalen Kulturbanausen. Ist es nicht so, Aliyah?»
Doch Aliyah saß bloß geknickt da und war überhaupt nicht in der Stimmung, sich an dem belanglosen Gespräch zu beteiligen.
«Warum kann ich ihn nicht hören?», murmelte sie gekränkt und beugte sich zu Nayati hinunter. «Willst du nicht mit mir reden, Nayati?» Die Enttäuschung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Nayati leckte ihr liebevoll übers Gesicht. Sag ihr, dass ich sie sehr lieb hab.
Miro ließ die Diskussion über die Sphonx fallen und übersetzte Aliyah Nayatis Gedanken.
Das Mädchen zog den Mund schief. «Das ist echt nicht fair. Warum kannst ausgerechnet du ihn hören, und ich nicht?»
Nichts auf dieser Welt ist ohne Sprache, sagte Nayati, während er sich an Aliyah schmiegte. Sag ihr, dass unsere Sprache eine andere ist, die – wie soll ich sagen – keiner Worte bedarf.
Miro sagte es ihr.
«Na gut», seufzte Aliyah. «Aber sag ihm, dass ich schon ein wenig beleidigt bin, dass er nicht mich ausgewählt hat.»
Ich habe sie ausgewählt, sagte Nayati und legte seine Pfote in ihren Schoß. Sag ihr, nicht sie hat mich gefunden dort in dem Hinterhof vor einem Jahr, sondern ich sie. Sag ihr – und das ist nichts als die Wahrheit –, sie sei das bezauberndste Mädchen, das mir je begegnet ist. Und ich werde sie mein Leben lang beschützen.
Miro richtete es Aliyah aus, worauf das blinde Mädchen leicht errötete.
«Das hat er wirklich gesagt?»
«Ja, hat er», bestätigte Miro.
Aliyah fuhr mit ihren Händen durch Nayatis weißes Fell und küsste ihn sanft auf die Schnauze. «Ich hab dich auch lieb, Nayati», sagte sie und lächelte glücklich.
51
Er spürte, dass die Zeit nahe war. Jeder Schritt brachte sie näher zu ihm. Er sehnte sich nach ihnen. Die Schwierigkeiten und das Leid hatten die Auserwählten zusammengeschweißt. Ihre Herzen waren mutiger geworden, ihre Seelen stärker. Aber noch waren sie nicht am Ziel. Noch lauerten Gefahren auf sie, und der Feind rückte immer näher. Noch waren sie nicht in Sicherheit. Er wusste sehr wohl, was ihnen bevorstand. Und er hätte es ihnen gerne erspart. Aber es war ihm leider nicht möglich.
52
Mörthal war ein kleines Städtchen, das von einem Vogt namens Pontus regiert wurde. Da alle Pensionen in Mörthal voll waren, hatte Pontus Drakars Suchtrupp im Hauptgebäude der Sicherheitsgarde untergebracht und sie und ihre Pferde mit allem versorgt, was sie brauchten. Die Unterkunft war dürftig, aber Goran und seine Männer hatten keine großen Ansprüche. Katara hatte ihre eigene Kammer erhalten, ein abgeschrägtes kleines Zimmer im Dachstock mit Blick in den Innenhof.
In der Nacht war sie aus dem Fenster geklettert und auf dem Dachfirst spazieren
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