Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
der Wolf und deutete mit der Pfote auf die entsprechenden Glyphen. Alle diese Zeichen hier sind eine exakte Wegbeschreibung vom Fuß des Gebirges bis zu seiner Höhle. Sobald wir das Shirí-Gebirge erreichen, musst du sie mir nochmals aufzeichnen, damit wir uns nicht verlaufen. Der Höhleneingang ist offenbar gut versteckt und – sagen wir mal – nicht auf den ersten Blick als solcher zu erkennen .
Das Shirí-Gebirge dürfte nach meinen Berechnungen nicht allzu weit von hier entfernt sein, meinte Miro. Wenn wir heute noch ein Stück zurücklegen, erreichen wir es morgen vor dem Mittag.
Ja. Es gibt nur einen Haken, mein Junge.
Welchen?
Unser Weg führt uns direkt durch den Wald der Offenbarung.
Miro fröstelte. Daran hatte er nicht gedacht. Er wusste nur zu gut, was man sich über diesen Wald erzählte. Es waren keine guten Geschichten. Können wir ihn nicht umgehen?
Wir könnten schon. Aber dann, mein Junge, dann laufen wir Drakars Soldaten direkt in die Arme. Der Wind hat ihre Witterung zu mir getragen, während ihr am Graben wart. Ich habe nichts gesagt, um euch nicht zu beunruhigen. Aber unser Vorsprung hat sich durch das Ausgraben der Karte – um es gelinde auszudrücken – erheblich verringert. Und aus irgendwelchen Gründen – die mir, um ehrlich zu sein, ziemlich schleierhaft sind – scheint die Sicherheitsgarde genau zu wissen, wo wir uns befinden, und hält direkt auf uns zu.
Miro schluckte. Er wusste nicht, vor was ihm mehr graute: vor den näher rückenden Soldaten, oder vor dem Wald der Offenbarung.
Was schlägst du vor?, fragte er den weißen Wolf.
Nayati sah ihn aus seinen eisblauen Augen entschlossen an.
Ich sage es nur ungern, mein Junge: Wir müssen durch den Wald der Offenbarung. Es geht nicht anders.
56
«Durch den Wald der Offenbarung? Bist du verrückt geworden?», rief Sihana entsetzt aus, als ihnen Miro eröffnete, wohin sie gehen mussten. «Wer durch diesen Wald geht, kann sich in ein Monster verwandeln!»
«Ich kenne die Legende», sagte Miro. «Der Wald offenbart das, was tief im Menschen verborgen ist. Das Dunkle wird nach außen gekehrt wie ein umgestülpter Handschuh. Und niemand weiß im Voraus, was dabei herauskommt.»
«Klingt voll aufregend», meinte Joash und sah Miro an. «Bin ja mal äußerst gespannt, in was für ein Monster du dich verwandelst, Hirn.»
«Ich? Ich habe nichts zu verbergen», verteidigte sich Miro. «Aber bei dir wäre ich mir nicht so sicher.»
«Was willst du damit sagen?», knurrte Joash und ballte seine Fäuste.
«Nichts», sagte Miro und trat vorsichtshalber außer Reichweite des Burschen. «Nichts. Wir werden ja sehen, was mit dir passiert, wenn wir durch den Wald spazieren.»
«Und wenn es tatsächlich geschieht?», fragte Aliyah ängstlich. «Wenn sich jemand von uns in ein Monster verwandelt, was machen wir dann?»
Ein Moment peinlicher Stille legte sich über die Jugendlichen. Niemand wusste darauf eine Antwort, und niemand wollte sich damit auseinandersetzen.
Wir müssen los , sagte schließlich Nayati und riss Miro aus seiner Gedankenwelt.
«Wer nichts Dunkles in sich hat, braucht auch nichts zu befürchten», versuchte Miro sich und die andern zu beruhigen, wobei er nicht sehr überzeugend klang. «Es ist nichts weiter als eine Legende. Wird bestimmt nichts passieren. Und falls doch: Wir haben schon ganz andere Situationen gemeistert. Den Wald der Offenbarung durchqueren wir mit links. Gehn wir.»
Sie ließen den gespenstischen Friedhof und das zugeschüttete Grab hinter sich und marschierten los. Miro und Nayati setzten sich an die Spitze und unterhielten sich angeregt miteinander. Es war noch kein Tag vergangen, seit Miro Nayatis Gedanken hören konnte, aber es kam ihm vor, als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen. Und mit jedem Schritt, den sie nebeneinander hertrotteten, mit jedem Gedanken, den sie miteinander austauschten, wuchs ihm der Wolf mehr ans Herz. Miro hatte nie viel davon gehalten, wenn Aliyah sagte, sie und Nayati seien seelenverwandt. Aber langsam begann er ähnlich für den Wolf zu empfinden und zu verstehen, warum Aliyah ihn so sehr liebte.
Wie aus dem Nichts tauchte der Wald der Offenbarung plötzlich aus dem Nebel auf. Die Gefährten blieben stehen. Majestätisch ragten die uralten knorrigen Bäume vor ihnen in die Höhe. Es war alles still. Kein Lüftchen wehte.
«Das ist er also», raunte Sihana und schob sich ihr blondes Haar hinter die Ohren. «Ich hoffe, ihr wisst, was ihr tut. Joash,
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