Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
entschlüsseln?»
Miro zog philosophisch die Augenbrauen hoch. «Ich denke, es handelt sich um eine rudimentäre Zeichensprache einer fremden Kultur, bestehend aus sogenannten Logogrammen und Silbenzeichen. Ich habe diese Schrift schon einmal irgendwo gesehen, glaube ich. Der Name liegt mir auf der Zunge …»
«Mit andern Worten: Er hat keine Ahnung», übersetzte Joash die geschwollene Rede.
«Na prima», seufzte Aliyah. «Wir haben die Karte und können nichts damit anfangen. Großartig.»
«Und was machen wir jetzt?», fragte Sihana.
«Es ist krypolonisch!», verkündete Miro.
«Krypo … was?», wiederholte Joash.
«Die Zeichen auf seinem Bein. Die Sprache nennt sich krypolonisch. Wurde in alten Grabhöhlen im Süden der Insel gefunden – natürlich vor dem Mauerbau.»
«Dann kannst du die Schrift entziffern?», rief Aliyah hoffnungsvoll.
Miro schüttelte den Kopf. «Tut mir leid. Mein Geschichtsprofessor sagte mir, die letzten Inselbewohner, die diese Symbolsprache beherrschten, lebten vor über vierhundert Jahren. Die krypolonische Schriftkultur ist leider über die Jahrhunderte hinweg verschwunden.»
«Aber das kann doch nicht sein!», seufzte Aliyah. «Andora würde uns nicht hierher schicken, um eine Karte zu finden, die völlig nutzlos ist. Es muss jemanden geben, der die Bedeutung dieser Zeichen kennt. Es muss einfach. Miro, fällt dir niemand ein?»
«Tja», meinte Miro. «Wenn du nicht einen Ururururonkel hast, der zufällig über vierhundert Jahre alt ist und noch zufälliger in dieser Gegend wohnt und sich am allerzufälligsten mit alten Sprachen auskennt, dann weiß ich auch nicht, wie wir die Karte entschlüsseln können.»
Nayati kläffte zweimal kräftig und streckte seine Nase über den Rand der Grube.
Auf die Idee, mich zu fragen, kommst du wohl gar nicht, sagte der Wolf mit gekränkter Miene.
Du kannst krypolonisch?, fragte Miro und sah erstaunt zu ihm hoch .
Natürlich kann ich krypolonisch. Schließlich streune ich seit fünfhundertvierundvierzig und drei viertel Jahren auf dieser Insel herum. Da lernt man so einiges.
«Nayati sagt, er kenne die Sprache!», teilte Miro die Neuigkeit den andern mit.
«Wirklich?» Aliyahs Augen leuchteten stolz. «Mein Wolf kann die Zeichen lesen?»
«Ich dachte, die Schrift wäre seit über vierhundert Jahren ausgestorben», wunderte sich Sihana.
«Nayati ist um einiges älter, als er aussieht», entgegnete Miro, worauf Aliyah verblüfft nachhakte:
«Willst du etwa behaupten, Nayati sei über vierhundert Jahre alt?!»
«Fünfhundertvierundvierzig und drei viertel Jahre, um exakt zu sein», grinste Miro mit erhobenem Zeigefinger. «Mirin-Wölfe können bis zu siebenhundert Jahre alt werden, sagte er mir.»
«Wow», machte Aliyah beeindruckt.
«Alle Achtung», grunzte Joash, «Nayati hat sich voll gut gehalten für sein Alter. Muss ich echt sagen.»
«Ich will ja nicht drängen», meldete sich Sihana ungeduldig zu Wort. «Aber sehr wohl ist es mir nicht gerade neben diesem Toten. Kannst du bitte Nayati fragen, was die Zeichen bedeuten, damit wir gehen können?»
Ich kann sie von hier oben schlecht erkennen, sagte der Wolf zu Miro. Präg dir die Glyphen ein – ist schließlich ein Kinderspiel für dich –, und später zeichnest du sie mir auf den Boden, und ich sag dir, was sie bedeuten.
Schon geschehen , antwortete ihm Miro, und zu den andern gewandt sagte er:
«Wir können den Sarg schließen. Ich hab mir das Tattoo eingeprägt.»
«Du hast dir das Tattoo eingeprägt ?», fragte Sihana ungläubig. «Du meinst: jedes Zeichen und jedes Detail?»
«Ja», bestätigte Miro, als wäre dies nicht weiter schwierig, zog das Hosenbein über Einbeins Unterschenkel zurück und gab Joash mit dem Kopf ein Zeichen. Krachend ließen sie den Deckel auf den Sarg zurückfallen und stiegen dann aus dem Grab heraus. Sihana war noch immer etwas skeptisch.
«Aber …», keuchte sie, als sie oben ankam, «für wie lange kannst du dir das Tattoo merken?»
«Für immer», sagte Miro einfach und wischte sich die Erde von den Knien. «Schaufelt das Grab zu. Ich kümmere mich mit Nayati um die Auslegung der Karte. Komm, Nayati.»
«Unglaublich», murmelte Sihana zu sich selbst und warf eine Schaufel Erde in die Grube hinunter. «Echt unglaublich.» Miro zeichnete unterdessen mit einem Steinchen das Tattoo auf dem Boden nach, und Nayati stand neben ihm und übersetzte ihm, was da geschrieben stand.
Der Drache lebt in einer Höhle im Shirí-Gebirge , sagte
Weitere Kostenlose Bücher