Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
mich direkt angeschaut – nein – gestarrt hast du. Du hast mir nachspioniert.»
«Das ist nicht wahr», verteidigte sich Joash und kämmte sich mit den Händen etwas verlegen seine Filzlocken. «Ich bin rein zufällig dort vorbeigekommen. Ehrlich.»
«Ach ja?», meinte Katara ungläubig. «Du kamst also rein zufällig an meinem Balkon vorbei? Mitten in der Nacht? Allein? Mit einem Kapuzenmantel?»
Joash eierte herum. «Das … ist etwas kompliziert … ich …» Der Bursche wusste nicht, wo er mit seinen Händen hinsollte. Dieses Mädchen brachte ihn total durcheinander. Er kannte sich selbst nicht mehr. «Also, gestarrt hab ich nicht … jedenfalls nicht bewusst … Ich dachte … ich meine, ich wusste nicht, dass du mich sehen konntest. Ich wollte dich nicht … belästigen oder so was. Ich wollte nur …»
«Ja?», fragte sie gespannt.
Ich hätte dich die ganze Nacht anstarren können, dachte er, du bist das faszinierendste Mädchen, das mir je begegnet ist. Und wenn du mich weiter so ansiehst, bringst du mich noch um den Verstand.
Er öffnete soeben den Mund, um etwas zu sagen, als ihm Sihana zuvorkam.
«Hey, Katara!», rief sie fröhlich und drehte sich den beiden zu. «Darf ich dein Pferd reiten?»
«Wenn du willst», sagte Katara und reichte ihr die Zügel. «Aber nicht zu lange. Wir sind die halbe Nacht durchgeritten. Sie ist ziemlich erschöpft. Ihr Name ist übrigens Aresco.»
«Aresco», wiederholte Sihana, schwang sich in den Sattel und tätschelte ihre Flanke. «Ein schöner Name. Sie ist eine wundervolle Stute.»
«Ja, das ist sie», nickte Katara. «Mein Vater hat sie mir zum Geburtstag geschenkt.»
«Stimmt es, dass Goran dein Vater ist? Der Goran? Der erste schwarze Ritter Drakars?», fragte Sihana, während sie neben Joash und Katara herritt.
«Ja», sagte Katara matt, und auf einmal wurde ihr Gesicht von einer merkwürdigen Blässe überzogen.
Sihana drückte Aresco die Fersen in die Seite, und der Fuchs trabte davon. Joash betrachtete Katara mit gerunzelter Stirn von der Seite.
«Ey, alles in Ordnung mit dir?»
«Ja», antwortete Katara, «mir geht’s gut.»
60
Die Jugendlichen erreichten das Shirí-Gebirge nach nur zwei Stunden Fußmarsch. Das Shirí-Gebirge war bekannt für seine bizarren Felsformationen und die verschiedenen Farbabstufungen des Gesteins. Es gab Felsen, die in einer Spitze zusammenliefen, auf der Felsbrocken aus violettem, gelbem oder rotem Stein balancierten. Einige dieser Steine waren kugelrund, andere quadratisch, wieder andere sahen aus wie Flügel oder moderne Hutkreationen, und einige stülpten sich über die Felsspitzen wie Pilze oder Perücken. Es gab auch Gestein, das durchlöchert war wie ein Käse, dann wieder gab es steile Bergwände, die orangefarben, sandgelb und braunrot gestreift waren, und ausgewaschene Felsen, durch die sich reißende Bäche spiralförmig ihren Weg ins Tal suchten.
Zwischen den einzelnen Bergketten lagen sanfte Talkessel, die sich wie überdimensionale Becken in die Landschaft einbetteten und von vielen kleinen Bergseen durchbrochen waren, die zwischen den Felszügen aussahen wie Tautropfen. Es war eine unvergleichliche Gegend. Sie gab einem den Eindruck, auf einem anderen Planeten zu sein.
Am Fuß des Gebirges zeichnete Miro die zweite Glyphe der Tattoo-Karte auf den Boden, und Nayati sagte ihm, was das alte Schriftzeichen bedeutete.
Das Zeichen steht für Schildkrötenpanzer, übersetzte er.
Schildkrötenpanzer?, wiederholte Miro. Bist du sicher?
Kannst du krypolonisch – oder ich?
«Was hat er gesagt?», fragte Aliyah.
«Wir müssen nach einem Schildkrötenpanzer Ausschau halten», erklärte Miro.
Sie sahen sich nach allen Richtungen um, und Katara entdeckte in einiger Entfernung einen Felsen, auf dessen Spitze ein großer Stein ruhte, der die Form eines Schildkrötenpanzers hatte. Sie war die Einzige, die ihn durch den Nebel hindurch sehen konnte, und schon bald wurde ihnen klar, dass sie ohne Kataras scharfe Augen ziemlich aufgeschmissen gewesen wären. Zeichen um Zeichen skizzierte Miro auf die Erde, und mit Nayatis Übersetzung und Kataras Fähigkeit, durch den Nebel zu sehen, führte sie die Spur quer durchs Gebirge, bis die Glyphenspur am Ende eines Tales vor einem kleinen See mit einem großartigen Wasserfall endete. Das Wasser stürzte aus über sechzig Ellen Höhe in die Tiefe und prasselte weiß schäumend auf die Oberfläche des Sees. Die Gefährten blieben am Ufer stehen. Ihre Umhänge flatterten im
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