Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Felsnische als Schlafplatz ausgesucht, während Sihana, Aliyah und Miro drei Armspannen unterhalb von ihm zusammengerollt in ihren Umhängen auf dem nackten Boden lagen und tief und fest schliefen. Nur Nayati hatte den Kopf gehoben und die Ohren gespitzt, gab aber seltsamerweise keinen Laut von sich. Ein dunkler Reiter mit einem schwarzen Kapuzenmantel schälte sich aus dem Nebel heraus und blieb unmittelbar vor den Jugendlichen stehen. Joash stockte der Atem, als er unter dem Mantel des Fremden die Spitze eines Schwertes erkennen konnte.
Ein Soldat! Er wird sie töten!, schoss es ihm durch den Kopf. Und ohne auch nur einmal zu zögern, hechtete er mit einem Satz vom Felsen hinunter und riss den bewaffneten Soldaten mit sich zu Boden. Das Pferd wieherte laut und bäumte sich auf. Nayati begann aufgeregt seitwärts hin und her zu tänzeln und jaulte ununterbrochen. Auch Sihana, Aliyah und Miro waren nun schlagartig hellwach und starrten wie gelähmt auf das schreiende und wild um sich schlagende Knäuel aus Armen, Beinen und einem flatternden Mantel, das vor ihnen mal durch die Luft, mal über den feuchten Erdboden wirbelte.
Joash gewann die Oberhand, setzte sich rittlings auf den Oberkörper des Fremden und presste ihm mit eisernem Griff, seine Arme angewinkelt, auf den steinigen Untergrund. Dabei beugte er sich so dicht über den Soldaten, dass der Abstand zwischen ihren Gesichtern keine zwei Handbreit betrug. Ihre Blicke kreuzten sich, und gleichzeitig begann jedem von ihnen das Blut im Kopf zu rauschen, und ihr Pulsschlag schoss in die Höhe. Sie starrten sich gegenseitig an, sie spürten ihren warmen Atem und das seltsame Knistern, das zwischen ihnen in der Luft lag. Für einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen.
«Katara?»
Dieses feingeschnittene Gesicht, dieser feurige Kampfgeist, der in ihren smaragdgrünen Augen flackerte, hatten Joash schon bei ihrer ersten kurzen Begegnung in Dark City nicht mehr losgelassen. Und seit er Katara in Pinzkrit auf dem Balkon gesehen hatte, war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Sie fesselte ihn.
Auch Katara hatte diese goldbraunen Augen, die sie in jener Nacht aus der Dunkelheit angestarrt hatten, nicht mehr vergessen können.
«Du bist doch …», stammelte sie, «deine Augen …»
«Was tust du hier?»
«Lass mich los!», schnaubte das schwarzhaarige Mädchen und begann auf einmal, sich wie ein Aal zu winden. Joash machte das Kräftemessen mit ihr Spaß. Sie war stärker als mancher Straßenjunge, mit dem sich Joash geprügelt hatte. Und sie war wild wie eine Katze. Joash ließ sie zappeln, bis sich alle um sie versammelt hatten und mit großen Augen auf sie hinunterblickten.
«Katara?!», rief Aliyah überrascht und verunsichert zugleich. Katara war sehr erstaunt, als ihr klar wurde, dass Aliyah nicht mehr blind war.
«Aliyah?», sagte sie und hörte für einen Moment auf, sich gegen Joash zu wehren. «Du kannst sehen , Aliyah?»
«Du siehst total anders aus, als ich gedacht habe», murmelte Aliyah, «du hast smaragdgrüne Augen!»
«Seit wann kannst du sehen, Aliyah? Wie ist das möglich?», wunderte sich Katara. Doch ehe Aliyah ihre Frage beantworten konnte, rückte Miros Kopf in Kataras Blickfeld.
«Wo sind Drakars Soldaten?», fragte er mit strenger Miene.
«Ich bin alleine gekommen», versicherte ihm Katara.
Miro verschränkte die Arme. «Ach wirklich? Ich gehe jede Wette ein, dass sie nur auf ein Zeichen von dir warten, um uns anzugreifen.»
«Es ist niemand bei mir, ich schwör’s!»
Sie sagt die Wahrheit, bestätigte Nayati , ich würde die Soldaten wittern, wenn sie in der Nähe wären.
«Na schön, Nayati sagt, du hättest Recht», sagte Miro, was Katara erneut in Staunen versetzte.
«Nayati kann reden ?»
«Ja, aber ich bin der Einzige, der ihn hört. Ich kann Gedanken lesen, weißt du. Also pass besser auf, was du denkst.»
Katara stürzte von einer Überraschung in die nächste. Miro gab Joash mit dem Kopf ein Zeichen.
«Lass sie los. Aber nimm ihr vorher das Schwert ab. Ich traue ihr nicht.»
Joash entwaffnete Katara und lockerte seinen Griff. Sie warf ihm einen feurigen Blick zu, erhob sich und wischte sich die Erde von ihrem ärmellosen gelben Oberteil und vom langen Mantel. Joash behielt sie fasziniert im Auge. Zwei Armspangen waren um ihre kräftigen Arme geklemmt. Ein Glasperlenzöpfchen hing ihr in die Stirn. Sie wirkte elegant wie eine Gazelle, aber nachdem sich Joash mit ihr gerauft hatte, wusste er, dass eine
Weitere Kostenlose Bücher