Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Manchmal fühlt es sich so an, als würde etwas darin explodieren. Kann ich mich für einen Moment setzen?»
«Gegen eine Pause hätte ich auch nichts einzuwenden», meinte Aliyah.
«Aber nicht zu lange», mahnte sie Miro. «Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.»
Am Wegrand standen ein paar knorrige, mit langen Moosflechten behangene Bäume. Die Jugendlichen ließen sich auf den dicken Wurzeln nieder und streckten ihre Beine. Nayati setzte sich hechelnd neben Aliyah. Ephrion massierte sein Bein und hoffte, der Schmerz würde bald nachlassen.
Joash schnappte sich Ephrions Tasche und teilte das restliche Zuckerbrot unter ihnen auf. Dabei blieb sein Blick an dem Buch der Prophetie hängen. Es war in ein grobes Tuch gewickelt. Vorsichtig hob er es heraus. Es hatte einen schwarzen Ledereinband mit Eckbeschlägen aus Messing und war mit kunstreichen Goldornamenten verziert. Die beiden Buchdeckel wurden von sieben Lederriemen zusammengehalten. Auf der Vorderseite steckten sie in Metalllaschen, die wohl früher einmal mit sieben Siegeln verschlossen gewesen sein mussten, denn der aufgebrochene rote Siegellack klebte noch immer auf dem Buchdeckel und an den Spitzen der Lederriemen. Joash legte sich das Buch auf die Knie und fuhr mit den Fingern über die sieben aufgebrochenen Siegel auf dem ledernen Einband.
«Dieses Buch der Prophetie», sagte er. «Was ist eigentlich so besonders daran?»
«Es heißt, dass es auf alle Fragen eine Antwort weiß und alle Geheimnisse und Mysterien dieser Welt enthüllen kann», erklärte Aliyah. «Allerdings vermochte nicht jeder die rätselhaften Symbole des Buches zu entschlüsseln. Wer dazu in der Lage war, wurde Prophet genannt. Als Zeichen ihrer Berufung trug jeder Prophet das Wappen Shaírias als Brandmal auf der Haut. Mutter sagte uns, früher hätte es auf der ganzen Insel verstreut Tempel gegeben, in denen die Propheten dem Volk aus dem Buch der Prophetie vorlasen. Durch den Einfluss dieses Buches hätte auf Shaíria über Tausende von Jahren Frieden geherrscht.»
«Und warum wollte es dann Drakar der Erste verbrennen?»
«Als der Fels ins Meer stürzte und der Nebel kam, glaubte Drakar, die Propheten und ihr Gott wären daran schuld. Von da an wurden die Propheten als Hexen verschrien. Drakar ließ die Tempel zerstören, verbrannte alle Kopien des Buches der Prophetie, und wer die Gabe besaß, darin zu lesen, wurde verfolgt und getötet. So kam die erste große Hexenverfolgung zustande.»
«Aha.» Joash kratzte sich am Kinn und dachte eine Weile über das Gehörte nach. «Und was hat es mit dieser Prophezeiung auf sich?»
«So genau wissen wir das auch nicht. Mutter sagte, die Prophezeiung würde sich durch uns erfüllen. Sie sagte, wir wären dazu bestimmt, das letzte Buch der Prophetie dem wahren König Shaírias zurückzubringen. Nur er wäre in der Lage, das Paradies auf der Insel und in den Herzen der Menschen wiederherzustellen. Und dazu braucht er das Buch, das ganze Buch. Denn erst wenn alle drei Teile wieder vereint sind, erhält es seine ursprüngliche Kraft zurück und die Prophezeiung kann in Erfüllung gehen.»
«Voll krass, ey, und das alles glaubt ihr tatsächlich?», wunderte sich Joash.
«Hast du dir nie gewünscht, es ginge im Leben um mehr, als einfach nur zu existieren?», fragte ihn Aliyah zurück.
Joash lachte bitter. «Gewünscht schon. Aber ich mach mir keine Illusionen, Kleine. Was mich bis hierher gebracht hat, sind nicht irgendwelche uralten Prophezeiungen, sondern dies hier.» Er klopfte sich an seine kräftigen Oberarme. «Das ist das Einzige, worauf ich mich wirklich verlassen kann.»
«Ich glaube, du bist auserwählt, Joash. Genau wie wir. Seit tausend und abertausend Jahren wurden wir dazu auserwählt, das Licht nach Dark City zurückzubringen.»
«Glaubst du das auch, Hirn?»
Miro zögerte mit der Antwort. «Na ja», sagte er ausweichend. «Es liegt in der Natur des Menschen, nach einem Sinn zu suchen, nach etwas, das uns vorantreibt, das uns zu etwas Besonderem macht, uns aus der Masse heraushebt.»
«Also glaubst du es, oder glaubst du es nicht?»
Miro drückte sich um eine direkte Antwort. «Tatsache ist, dass unser Leben, wie wir es kannten, vorbei ist. Tatsache ist auch, dass wir als Hexen und Hexer auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, wenn Drakar uns findet. Was spielt es also für eine Rolle, was ich glaube?»
«Du glaubst also nicht daran», stellte Joash trocken fest.
«Ich glaube vor allem an mich selbst»,
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