Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
die Hütte von einem strahlenden Licht erfüllt.
«Jede Träne ist gezählt», weinte sie, «ich habe sie alle gesammelt.» Sie öffnete den kleinen Pfropfen, mit dem das Fläschchen verschlossen war, und ließ ihre Tränen in das Gefäß hineinfallen. Sie glitzerten und funkelten wie Diamanten, und ihr Licht war so blendend und so rein, dass Sihana, Miro und Ephrion kaum hinsehen konnten.
«Unglaublich», murmelte Ephrion, und Miro stellte verblüfft fest: «Flüssiges Licht. Ich wusste nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.»
Andora sammelte ihre Lichttränen in dem Fläschchen, ehe sie das Glasgefäß wieder unter ihrem Kleid verbarg. Augenblicklich wurde es dunkel um sie herum, und nur noch die Kerzen erleuchteten den Raum. Es dauerte eine Weile, bis sich die Augen der Jugendlichen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
«Ihr hattet eine lange Reise», seufzte Andora. «Ihr müsst bestimmt hungrig sein. Ich habe eine Kleinigkeit für euch vorbereitet.»
Sie deutete auf den Tisch, und erst jetzt bemerkten die Gefährten, dass er reich gedeckt war. Als sie sich wieder Andora zuwandten, hatte sich ihr Schaukelstuhl erneut so gedreht, dass sie zum offenen Fenster hinaussehen konnte.
«Stärkt euch», lud sie ihre Gäste mit ihrer monotonen Stimme ein, «es war ein anstrengender Tag für alle von uns.»
«Danke», sagte Sihana. «Das ist sehr freundlich von Euch.»
Die Jugendlichen begaben sich zum Tisch. Ephrion war als Erster da. Er hatte einen Löwenhunger. Sein Magen hatte schon die ganze Zeit geknurrt. Allerdings verging ihm der Appetit, als er sah, was Andora ihnen aufgetischt hatte. In Schüsseln und Schalen verteilt lagen allerlei seltsame Früchte, gerollte Blätter, gefüllte Sumpfkrebse und auch irgendwelche undefinierbaren, schwabbeligen Massen in den verschiedensten Grüntönen. In einem Teller war etwas aufgetürmt, das aussah wie Froschlaich. Ephrion verzog den Mund. Sieht nicht gerade appetitlich aus, dachte er.
«Das Essen stammt aus den Ewigen Sümpfen», informierte Andora sie. «Es schmeckt vielleicht etwas anders als das Essen, das ihr kennt. Aber es ist sehr nahrhaft.»
Sihana nahm einen Krug und füllte sich einen Becher mit einer rosa Flüssigkeit. «Tee aus den getrockneten Blütenblättern der Sumpfrose», sagte die Frau eintönig, als hätte sie Augen im Hinterkopf. Sihana stellte den Krug überrascht auf den Tisch zurück und nippte an dem Getränk.
«Schmeckt gut», meinte sie, worauf auch Miro, Ephrion und Aliyah davon tranken. Schließlich überwanden sie sich, auch von dem Essen zu kosten, und stellten fest, dass es gar nicht so übel war, wie es auf den ersten Blick aussah.
«Für dich, Ephrion, habe ich etwas Besonderes gekocht», sagte Andora und deutete mit der Hand zur Kochstelle hinüber.
«Wirklich?», wunderte sich der Vierzehnjährige und ließ den Becher mit dem Sumpfrosenblätter-Tee stehen. «Was denn?»
«Sieh selbst», war Andoras Antwort. «Im Topf über der Kochkerze. Ich hoffe, es ist noch warm.»
Ephrion watschelte zu der neundochtigen Kochkerze und lugte gespannt in den Kochtopf, der in einer Hängevorrichtung über den brennenden Dochten hing. Es blubberte und dampfte.
«Mein Lieblingsessen!», quiekte Ephrion, und seine Augen wurden so groß, dass sie aus seinem Kopf zu purzeln drohten. «Woher habt Ihr gewusst …»
«Ich hoffe, die Wurzeln schmecken Euch genauso gut wie zu Hause», sagte Andora fürsorglich, ohne ihren Blick vom offenen Fenster abzuwenden.
«Das werden sie bestimmt», sagte Ephrion und strahlte vor Begeisterung. «Wo habt Ihr die Grünwurzeln aufgetrieben? Im Sumpf wachsen die bestimmt nicht. Mann, wie die duften! Ich hab seit meinem letzten Geburtstag keine gegarten Grünwurzeln mehr gegessen. Und Ihr habt sie genauso zubereitet wie meine Mutter: mit einer leckeren Nusscreme-Sauce. Herrlich!»
Ephrion schöpfte sich eine große Portion in einen Teller und sog den wunderbaren süßlich-herben Geruch seines Leibgerichts in sich ein. Dann setzte er sich hocherfreut an den Tisch und begann zu futtern.
Miro klaubte ein klebriges längliches Gemüse aus einer Schale und biss ein kleines Stück davon ab. Es war knackig und schmeckte süßsauer. «Ungewöhnlich», beurteilte Miro das gebogene Teil. «Woher kenne ich bloß den Geschmack?»
«Eingelegte Sumpfgurken», gab ihm Andora Auskunft, ohne sich ihm zuzuwenden.
«Aber natürlich», meinte Miro lässig. «Bei meiner letzten Party gab es die Dinger auch.»
«Wohl kaum»,
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