Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
er. «Was hat das zu bedeuten?»
Er drehte den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände, aber es nützte nichts. Er kratzte mit den Fingernägeln über die Innenflächen seiner Hände, über die Handrücken, über die Finger, vergeblich. Schließlich griff er nach den schwarzen Handschuhen neben dem Waschbecken und zog sie hastig an.
Der Kommunikator rauschte erneut und holte ihn aus seiner Gedankenwelt zurück.
«Eure Hoheit. Bitte meldet Euch bei der Hauptwache!», ertönte dieselbe Stimme zum wohl hundertsten Mal. «Eure Hoheit?»
Drakar fuhr sich mit den Handschuhen durch sein zerzaustes Haar, atmete tief durch und verließ das Bad. Er schnappte den Kommunikator, drückte einen Knopf und sagte unwirsch:
«Sprecht!»
«Eure Hoheit, hier spricht die Hauptwache an der Zugbrücke», kam es verzerrt durch das kleine Gerät. «Es tut mir leid, Euch zu so später Stunde zu stören, Eure Hoheit. Aber ich glaube, das solltet Ihr Euch anhören. Eine Hexe steht vor dem Tor. Sie verlangt, Euch unverzüglich zu sehen.»
Drakar stutzte. «Eine Hexe steht vor dem Tor? Seit wann liefert sich uns eine Hexe freiwillig aus?»
«Sie möchte Euch sprechen. Sie sagt, sie könne Euch helfen, Euren Thron zu sichern. Was sollen wir mit ihr tun?»
Der König überlegte einen Moment. «Eskortiert sie in mein Büro. Aber seid vorsichtig. Wer weiß, was sie im Schilde führt.»
«Sehr wohl, Eure Hoheit.»
Drakar kleidete sich eilends an und begab sich unverzüglich in sein Büro. Wenig später klopfte es, und sechs Soldaten betraten den Raum, in ihrer Mitte eine ärmlich aussehende Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand. Die Frau war um die dreißig, trug ein zerschlissenes Kleid und hatte sich ihr langes braunes Haar hochgesteckt. Sie war sehr blass, hatte dunkle Augenringe und sah krank aus. Drakar saß hinter seinem Schreibtisch und betrachtete sie eingehend.
«Ihr seid also eine Hexe?»
«Ich bin nicht meinetwegen hier», antwortete die Frau zu seinem Erstaunen, «sondern wegen meines Sohnes.»
Drakars Blick fiel auf den kleinen Jungen an ihrer Hand. Er mochte um die sechs Jahre alt sein und hatte blondes, stark gelocktes Haar. Auch er war schlecht gekleidet, seine Schuhe waren schmutzig und durchlöchert. Er wirkte etwas scheu und versteckte sich hinter dem Rock seiner Mutter.
«Euer Sohn – ist ein Hexer?»
Die Frau nickte eifrig und versuchte, den Jungen in Drakars Richtung zu schieben. Aber der Knabe weigerte sich und klammerte sich stattdessen an ihren Rockzipfel.
Drakar musterte den Jungen mit zusammengekniffenen Augen. «Ihr liefert mir Euren eigenen Sohn aus, obwohl Ihr wisst, welches Schicksal ihn hier erwartet? Wieso?»
Die Frau verbeugte sich leicht. Sie wirkte angespannt. «Eure Hoheit. Ich bin arm. Mein Mann hat sich vor einem Jahr das Leben genommen. Ich habe vier Kinder zu ernähren. Ich wusste keinen andern Ausweg mehr. Ich brauche … ich brauche Licht für meine Kinder, und Geld, um Essen zu kaufen, und Medikamente. Octavian kann Euch von großem Nutzen sein.»
Drakar lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und verschränkte die Arme. «Ihr sagtet, er wäre ein Hexer. Hexer werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Warum sollte ich ihn davor verschonen?»
«Eure Hoheit, Octavian hat eine Begabung, die all Eure Probleme mit einem Schlag lösen könnte.»
«Ach wirklich? Und was für eine Begabung soll das sein?»
Die Frau warf einen Blick auf die Soldaten, die dicht um sie herumstanden und jede ihrer Bewegungen verfolgten, jederzeit einsatzbereit, um den König zu schützen, falls es nötig sein sollte.
Sie atmete tief durch, nahm all ihren Mut zusammen und machte einen kühnen Schritt auf Drakars Schreibtisch zu. «Erst müsst Ihr mir versprechen, dass Ihr meinen Sohn am Leben lasst und mich und meine Familie schützt. Und ich verlange zwölf Kerzen und hundert Drakaten monatlich.»
Drakar lachte auf. «Ihr maßt Euch an, Eurem König Forderungen zu stellen? Was glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid? Ich könnte Euch für Euer unehrenhaftes Benehmen bei Wasser und Brot in den Kerker sperren. Oder besser noch: auf den Scheiterhaufen stellen!»
«Verzeiht, Eure Hoheit», sagte die Frau und neigte sich erneut tief zur Erde. «Aber ich kann sein Geheimnis erst lüften, wenn ich als Gegenleistung gewisse Sicherheiten erhalte. Glaubt mir, Octavians Fähigkeit übertrifft Eure kühnsten Träume.»
Drakar erhob sich, trat ganz nahe an die Frau heran und suchte in ihren Augen abzuschätzen, ob
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