Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
antwortete die alte Frau, ging aber nicht näher darauf ein. Sihana ging mit ihrem Teller um den Tisch herum und füllte ihn mit den verschiedensten Esswaren, um von allem etwas zu probieren. Als sie sah, wie Aliyah etwas unbeholfen dastand, tippte sie sie von hinten an.
«Soll ich dir einen Teller zubereiten?»
«Sehr gerne», antworterte Aliyah. «Was gibt es denn?»
«Ihr müsst von dem schwarzen Sumpftang kosten», meldete sich Andora. «Er steht neben dem Seerosensalat. Ist eine Delikatesse. Und die Eier des Moorvogels schmecken ganz besonders lecker.»
Sihana schöpfte Aliyah etwas Seerosensalat, ein paar Moorvogeleier und verschiedene undefinierbare Beilagen auf einen Teller, und dann setzten sich die Mädchen Ephrion und Miro gegenüber an den Tisch und begannen zu essen. Als sie alle satt waren, deutete Andora auf den Schrank neben der Standuhr.
«Ich habe leider keine Betten für euch. Aber in dem Schrank findet ihr genügend Decken und Kissen, damit ihr nicht auf dem nackten Boden zu schlafen braucht. Und neben der Kochstelle steht eine Schüssel mit Wasser für Joash.»
Joash!, durchfuhr es sie alle gleichzeitig. Sie hatten komplett vergessen, dass Joash noch immer draußen im Boot war, und jetzt, wo Andora seinen Namen aussprach, kam ihnen sein langes Wegbleiben auf einmal sehr verdächtig vor.
«Ich seh mal nach, ob er es nicht doch vorzieht, mit uns hier drinnen zu übernachten», sagte Miro und ging zur Tür. Er öffnete sie, und im selben Moment schrak er zusammen. Unmittelbar vor der Tür lag eine reglose Gestalt: Es war Joash.
43
«Euer Junge sieht die Hexen?» Drakars Augen blitzten auf. «Ist das wahr?»
Der Sechsjährige hatte einen bronzenen Briefbeschwerer in Form eines Drachens auf Drakars Schreibtisch entdeckt und starrte ihn fasziniert an. Seine Mutter fuhr fort:
«Er spürt sämtliche Hexen und Hexer, die sich im Umkreis von einer Meile befinden, und kann Euch zu ihnen führen. Und wenn Ihr eine bestimmte Hexe sucht und ein Kleidungsstück oder ein Bild von ihr habt, so findet Octavian sie sogar im ganzen Land.»
Drakar zog beeindruckt die Augenbrauen hoch.
«Ihr sollt Eure Kerzen und Euer Geld erhalten», bestimmte er.
Das Gesicht der Frau hellte sich auf. «Danke, Eure Hoheit!» Sie beugte sich tief zur Erde nieder. «Tausend Dank! Ich werde Euch Octavian auf die Burg bringen, wann immer Ihr es wünscht.»
«Das werdet Ihr nicht», sagte Drakar streng. «Der Junge bleibt hier, bis ich mit seiner Hilfe sämtliche Hexer und Hexen in unserem Land gefunden und ausgerottet habe.»
«Aber …», stammelte die Frau, und ein Ausdruck von Verzweiflung legte sich auf ihr blasses Gesicht. «Das kann Jahre dauern.» Sie wollte ihren Jungen zu sich ziehen, aber Drakar gab den Soldaten ein Zeichen. Sie hielten die Mutter an der Schulter zurück. Octavian war in der Zwischenzeit näher an den Schreibtisch getreten und fuhr mit seinen kleinen Fingern über die bronzene Drachenfigur, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Drakar sah es und lächelte.
«Möchtest du sie haben?», fragte er den Knaben. Octavian zog die Hand von der Figur zurück und sah den König verschreckt an. Drakar nahm den Briefbeschwerer vom Tisch und drückte ihn dem Jungen in die Hand. «Hier. Der Drache gehört dir.»
«Danke!», rief Octavian überrascht. «Sieh mal, Mama, was ich gekriegt hab!» Er wollte zu seiner Mutter laufen, aber Drakar legte ihm seine Hand auf die Schulter, beugte sich zu ihm hinunter und raunte ihm ins Ohr:
«Ich könnte dir noch ganz andere Dinge zeigen, die dir gefallen würden, Rüstungen, Schwerter, Pferde. Magst du Pferde? Hättest du Lust, hier zu übernachten und morgen Früh auf einem richtigen Pferd zu reiten?»
«Au ja!», sagte Octavian, und seine Augen glänzten vor Begeisterung. «Mama, darf ich? Darf ich hierbleiben und morgen reiten gehen?»
Drakar warf der Frau einen unmissverständlichen Blick zu, und sie seufzte tief.
«Ja, mein Schatz», antwortete sie wehmütig. Ihr Junge strahlte übers ganze Gesicht, eilte auf sie zu und warf sich in ihre Arme.
«Danke, Mama! Bleibst du auch hier?»
Die Mutter kämpfte gegen ihre Gefühle an, zwang sich aber, stark zu bleiben. Die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen. «Das geht leider nicht.»
«Warum nicht?»
Sie kniete nieder und hielt Octavian an den Armen fest. Drakar stand mit verschränkten Armen hinter ihm und wartete mit spürbarer Ungeduld.
«Octavian», begann die Mutter und sah ihren Jungen
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