Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
nicht erinnern, wann ihr das letzte Mal ein so herrlicher Duft nach Essen in die Nase gestiegen war. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Sie nahm ein großes Stück Fleisch vom Teller und warf es in die Luft. Nayati sprang hoch und fing den Happen geschickt auf. Er schlang das ganze Fleischstück in wenigen Bissen hinunter. Und Aliyah langte ebenfalls kräftig zu. Das Essen schmeckte vorzüglich, und Aliyah hatte den Eindruck, noch nie in ihrem Leben etwas so Leckeres gegessen zu haben. Selbst das Wasser, das in einem Tonkrug auf dem Tisch stand, schmeckte tausendmal besser als alles, was sie jemals an Wasser gekostet hatte. Sie aß und trank und dachte dabei über die seltsamen Erlebnisse der vergangenen Tage nach. Sie rief Nayati zu sich, nahm seinen weichen Kopf zwischen ihre Hände und drehte sein Gesicht zu sich hin.
«Nayati … habe ich dich gefunden? … Oder hast du auf mich gewartet?»
Der Wolf zog seinen Kopf aus ihren Händen zurück und bettelte um mehr Essen. Sie warf ihm ein zweites Stück Fleisch zu.
«Hast du eine Ahnung, wo wir hier sind? Die Luft ist so rein, es riecht so frisch, alles ist so … anders … Können wir diesem Master trauen? Diesem Lehrer? Was meinst du?»
Nachdem Nayati das Fleischstück hinuntergeschluckt hatte, legte er seinen Kopf in ihren Schoß, sah sie mit seinen treuherzigen Augen an und bellte zweimal.
«War das ein Ja, Nayati?», fragte das Mädchen. «War das ein Ja?»
Sie erhob sich, erkundete den Raum und fand schließlich das Bett und ein ordentlich zusammengefaltetes Kleiderbündel am Kopfende. Sie hob es hoch, strich mit ihren sanften Fingern über den zarten Stoff und roch daran.
«Neue Kleider! Nayati, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so verwöhnt worden. Soll ich sie anziehen?»
«Wuff! Wuff!», antwortete Nayati.
Aliyah griff in die Tasche ihres zerrissenen Kleidchens und nahm die beiden Goldmünzen heraus, die ihr das Mütterchen mitgegeben hatte. Ein Glück, dass sie bei ihrer Gefangennahme nicht entdeckt worden waren. Sie würden sie bestimmt noch brauchen auf ihrer Reise. Aliyah legte die Münzen neben sich aufs Bett. Dann schlüpfte sie aus ihren verdreckten Sachen und tauschte sie gegen die neuen Kleider ein. Es war erstaunlich. Sie passten wie angegossen, gerade so, als wären sie extra für sie angefertigt worden. Die Kleidung bestand aus einer feinen Baumwollbluse, einem Ledergürtel, einem eleganten Rock und dazu sehr bequemen Schuhen mit dicken Sohlen.
Aliyah fühlte sich wie neugeboren. Sie steckte die Münzen ein, ließ sich mit einem tiefen Seufzer aufs Bett fallen und lächelte still vor sich hin. Selbst das Bett war ein Traum, weich und flauschig. Was für ein Gegensatz zu der zerschlissenen Matratze, auf der sie in Onkel Fingals Wohnung hatte schlafen müssen. Aliyah schloss die Augen und kam sich tatsächlich vor wie eine Prinzessin aus einem Märchen. Nayati sprang zu ihr aufs Bett und kuschelte sich neben sie. So lagen die beiden eine Weile da, bis Aliyah sich schließlich zur Seite drehte und schon bald erschöpft einschlief.
58
Joash wurde von einem lauten Schrei jäh aus dem Schlaf gerissen. Aus den Augenwinkeln konnte er verschwommen die Gestalt eines Onovans ausmachen. Der große Mann stand breitbeinig vor der Tür, als würde er sie bewachen. Sein Mund war weit geöffnet, und der grelle Ton, der aus seiner Kehle drang, klang wie berstendes Metall und war schlimmer als tausend Fingernägel, die über eine Schiefertafel kratzen. Joash erschauerte bis ins Innerste. Er versuchte sich zu bewegen, doch es ging nicht. Er konnte weder seinen Kopf bewegen noch seine Arme, Beine oder seinen Oberkörper. Er war wie ein Geisteskranker in einem Irrenhaus an ein steinhartes Bett gefesselt, und die Fesseln waren nicht aus Leder, sondern aus Metall.
Der Onovan schritt zu einem kleinen Tischchen, auf dem sich ein Diktiergerät befand. Er drückte einen gelben Knopf an der Seite des Geräts, ein grünes Lämpchen leuchtete auf, und das Band begann zu spielen.
«Joash, Euer ganzes Leben lang wart Ihr auf Euch allein gestellt und habt die Dinge im Alleingang erledigt und dabei nur an Euch selbst gedacht. Ihr seid von zuhause weggelaufen und habt auf der Straße gelebt, alleine. Ihr habt Drogen genommen und getrunken, alleine. Ihr seid Euch selbst immer am nächsten gewesen. Ihr habt gestohlen, gekämpft, betrogen und andere Menschen verletzt und nur darauf geachtet, was zu Eurem eigenen Vorteil sein könnte. Nie habt Ihr Euer Herz
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