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Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Titel: Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damaris Kofmehl , Demetri Betts
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mehr taugte, als eingeschmolzen zu werden. Doch seinem Vater war das raue Abfallstück förmlich ins Auge gesprungen. Er sah darin bereits etwas Kostbares, ein viel edleres Schmuckstück, als man es jemals in einem Juweliergeschäft finden würde. Und so hatte sein Vater das unförmige Teil aus dem Müll gefischt, die scharfen Kanten abgefeilt, die Oberfläche poliert und es in ein wunderschönes Kleinod verwandelt. Er hatte Ephrion die Kette mit dem Anhänger vor vielen Jahren geschenkt, und seither trug sie sein Sohn jeden Tag.
    Ephrions Vater und der kleine Nicolo saßen bereits am gedeckten Tisch, als der Junge in die Küche trat. Die Mutter stand mit dem Rücken zum Tisch und kochte auf einer großen weißen Kerze Tee. Die Kerze hatte den Durchmesser eines mittleren Tellers, und oben schauten neun Dochte heraus. Darüber war eine Hängevorrichtung angebracht, in die sich Pfannen und Töpfe ganz unterschiedlicher Größe versenken ließen. Man konnte das Gestell in der Höhe beliebig variieren, um es der Länge der jeweiligen Kerze anzupassen und dadurch die Hitze der brennenden Dochte optimal auszunützen. In der Ecke neben dem Fenster standen zwei weitere Kerzen, noch ungebraucht und etwa vier Fuß hoch. Ihre Brenndauer betrug um die zweihundert Stunden, und Ephrion berechnete, dass die jetzige Kerze noch für gut einen Monat zum Kochen ausreichen würde, bevor Mutter eine neue unter die Metallvorrichtung schieben müsste.
    Sein Großvater hatte ihm einmal erzählt, dass sie früher nicht mit Kerzen gekocht hätten, sondern mit richtigem Brennholz auf einer offenen Herdstelle. Für einen Jungen wie Ephrion war das unvorstellbar. Die Produktion von Brennholz war viel zu teuer, das konnte sich in der heutigen Zeit keiner leisten, jedenfalls nicht die arme Bevölkerungsschicht, zu der seine Familie zählte. Allein, dass König Drakar einen ganzen Scheiterhaufen voller Holz für die Hexenverbrennung zur Verfügung stellte, war an Großzügigkeit kaum zu überbieten. Holz war selten geworden in Dark City, seit der Nebel gekommen war.
    Ja, alles hatte sich verändert, seit der Nebel gekommen war. So erzählte es jedenfalls Ephrions Großvater jeweils, wenn er früher zu Besuch gekommen war. Ephrion hatte ihm immer Löcher in den Bauch gefragt, wenn er vorbeikam. Es war faszinierend, ihm zuzuhören. Er war so weise und wusste so viele Sachen, von denen Ephrion noch nie gehört hatte. Manchmal fragte sich der Junge, ob es überhaupt etwas gab, das Großvater nicht wusste. Er war ohne Zweifel der klügste Mann auf der Welt. Davon war Ephrion überzeugt. Und was ihm Großvater erzählte, das vergaß er nie. Kein einziges Wort davon vergaß er.
    «Großvater, warst du schon einmal außerhalb der Mauer?», hatte er ihn eines Morgens gefragt. Damals war er vielleicht sieben Jahre alt gewesen, doch an das Gespräch erinnerte er sich noch heute. Es war einer dieser regnerischen Tage gewesen, wo man am liebsten den ganzen Tag im Bett bleibt, weil es draußen noch trüber und dunkler als gewöhnlich ist. Ephrion saß mit seinem Großvater auf dem alten, zerschlissenen Sofa im Wohnzimmer, in eine warme Decke eingehüllt, weil es ziemlich kalt war an diesem Morgen, und die Mutter hatte im Schein einer Kerze den kleinen Nicolo gefüttert.
    Ephrions Großvater war trotz seines Alters ein bemerkenswert kräftiger Mann. Seine Hände waren groß und stark, wie die Hände eines Mannes, der sein ganzes Leben lang schwerste Arbeit verrichtet hat. Ephrion genoss es, neben ihm zu sitzen, seine starken Arme auf seiner Schulter zu fühlen und ihm einfach zuzuhören, stundenlang. Und dabei sah er in die kleinen Augen seines Großvaters, Augen, die glänzten, wenn er Geschichten aus der Vergangenheit hervorholte wie Perlen und Edelsteine aus einer Schatztruhe.
    «Ja, ich war schon außerhalb der Mauer», erzählte Großvater. «Wir haben früher weit weg von hier gelebt, deine Großmutter und ich. Wir lebten im Mirin-Tal, jenseits des Ysah-Gebirges.»
    «War es schön dort?»
    «Es war traumhaft», sagte der Großvater. «Es gab wunderschöne grüne Wiesen und Kornfelder, so weit das Auge reichte. Bunte Schmetterlinge tanzten über die Blumenwiesen. Es gab riesige blaue Schmetterlinge, deren Flügel größer waren als meine Hände. Ihre Spannweite betrug fast eine Elle, und ihre Flügel schimmerten wie flüssiges Mondlicht.»
    Ephrion lauschte den Ausführungen seines Großvaters fasziniert, während er sich in seinen Schoß schmiegte wie eine

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