Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
Bruder am Tisch saß und die schwarze Grütze schlürfte, die es jeden Morgen zum Frühstück gab. Er wünschte sich, Großvater würde plötzlich ganz überraschend in der Tür stehen, um mit ihnen zur Hexenverbrennung zu gehen. Das wäre vielleicht ein Ding. Und da klopfte es tatsächlich an die Tür, genau als Ephrion an seinen Großvater dachte. Natürlich wusste der Junge, dass es unmöglich sein Großvater sein konnte, aber manchmal geschehen im Leben ohne zwingende Erklärung die verrücktesten Dinge. Für einen kleinen Moment hielt es Ephrion tatsächlich für möglich, dass sein Großvater zu Besuch käme.
«Ich sehe nach», sagte der Vater, stellte seine Tasse auf den Tisch und begab sich zur Tür, die man von der Küche aus nicht sehen konnte. Kurz darauf kam er zurück und nickte Ephrion zu.
«Es ist für dich.»
«Für mich?», meinte Ephrion und sprang auf. Sein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Eine Hexenverbrennung und das Wiedersehen mit seinem geliebten Großvater, das wäre mehr, als er sich jemals hätte erträumen können. «Wer ist es denn?»
«Ich weiß es nicht», antwortete der Vater. «Ein Bursche, den ich nicht kenne.»
Ephrion winkte ab. «Ist bestimmt der neue Junge vom andern Block. Ich hab ihm gesagt, er könne mit uns zur Hinrichtung gehen, falls seine Eltern nichts dagegen haben.»
Er ging durchs Wohnzimmer zur Tür. Sie stand offen, doch es war niemand zu sehen. Ephrion trat in den Flur hinaus in der Annahme, der Besucher würde sich gleich neben der Tür befinden. In diesem Moment geschah etwas Unerwartetes. Jemand packte Ephrion von hinten und hielt ihm ein Tuch vor den Mund. Es ging alles so schnell, dass der Junge keine Zeit hatte, um Hilfe zu schreien oder sich gar zur Wehr zu setzen. Ein süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Er spürte, wie er das Bewusstsein verlor. Aus den Augenwinkeln sah er eine verschwommene Gestalt in einem dunklen Anzug. Es war das Letzte, was er sah. Dann klappte Ephrion wie ein Taschenmesser zusammen. Es wurde Nacht um ihn herum.
11
Kataras Schädel brummte. Wo bin ich?, dachte sie. Was ist geschehen? Sie wollte sich umschauen. Doch es gelang ihr nicht, die Augen zu öffnen. Irgendjemand hatte ihr die Augen verbunden und das Tuch ziemlich straff hinter dem Kopf zugezogen. Sie versuchte sich vom kalten Boden aufzurichten, aber auch das gelang ihr nicht. Ihre Hände waren ihr auf dem Rücken zusammengebunden. Und so sehr sie auch an den Fesseln zerrte, sie lockerten sich nicht. Im Gegenteil, sie schnitten umso mehr in ihre Handgelenke ein. Und nicht nur ihre Hände waren gefesselt, auch ihre Füße. Wer auch immer sie verschnürt hatte, hatte ganze Arbeit geleistet.
«So ein elender Mist», murmelte das Mädchen. Wenigstens hatten sie ihr keinen Knebel in den Mund gesteckt, aber wahrscheinlich nur deshalb, weil es ohnehin nichts gebracht hätte, um Hilfe zu rufen. Katara versuchte sich in eine etwas angenehmere Position zu manövrieren, und nach ein paar Anläufen gelang es ihr tatsächlich, sich aufzusetzen. Wie lange bin ich schon hier?, überlegte sie. Wer hält mich hier fest? Und wozu?
Sie hatte nicht den leisesten Schimmer, was hier gespielt wurde. Wollte sich jemand einen Scherz mit ihr erlauben? Wenn das ein Scherz ist, finde ich ihn jedenfalls nicht lustig, dachte sie. Aber immerhin wäre es ein tröstlicher Gedanke gewesen. Dann hätte sie wenigstens damit rechnen können, dass sie früher oder später aus ihrer misslichen Lage befreit und sich für alles eine harmlose Erklärung finden würde.
Unwillkürlich erinnerte sie sich an ihren Kampflehrer und seine ausgefallenen Ideen, mit denen er manchmal ihr Können auf die Probe gestellt hatte. Einmal hatte er sie an einer Kette kopfüber in den Ziehbrunnen im Burghof gehängt und die Zeit gestoppt, wie lange sie brauchte, um sich zu befreien. Ihm wäre eine Entführung am ehesten zuzutrauen. Trotzdem verwarf sie den Gedanken. Erstens hatte sie ihre Kampfausbildung schon vor einem Jahr abgeschlossen, und zweitens wusste niemand von ihrem nächtlichen Ausflug ins Verlies. Es war eine spontane Aktion gewesen. Oder hatte sie doch jemand gesehen? Das kann nicht sein, dachte Katara. Das hätte ich doch gemerkt. Aber wer waren dann diese Männer, die so plötzlich hinter den Rüstungen hervorgekommen waren? Wer hatte sie geschickt? Mein Vater? Die Vorstellung war völlig absurd.
Kann es sein, dass mein Vater uns beobachtet hat, als wir aus dem Haus geschlichen sind?, grübelte
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