Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
über Isabella abrupt beendete und ihre Aufmerksamkeit auf etwas völlig anderes lenkte. Es klirrte. Nur ein paar Schrittlängen vor ihnen klirrte es. Die Mädchen zuckten gleichzeitig zusammen und blickten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Und da sahen sie, dass eine Lanze quer über dem Boden lag. Sie hatte sich offensichtlich von einer der Rüstungen aus der Mauernische gelöst und das Klirren verursacht, als sie auf dem Boden aufschlug. Den drei Mädchen stockte der Atem.
«Was geht hier vor?», flüsterte Yolanda.
«Glaubt ihr, da ist jemand?», hauchte Xenia.
«Da ist niemand», sagte Katara.
«Und wenn doch?»
«Ach, warum sollte sich jemand zwischen den Rüstungen verstecken?»
«Die Lanze kann sich doch nicht von selbst gelöst haben!»
«Vielleicht war es eine Ratte.»
«Eine Ratte kann keine Lanze in Bewegung setzen. Ich sag euch, da ist jemand!»
«Unsinn.»
«Du hast selbst gesagt, die Rüstungen hätten sich noch nie bewegt.»
«Das haben sie auch nicht.»
«Eben! Und wie bitte kommt dann die Lanze da vorne auf den Boden?»
Niemand wusste eine Antwort. Zitternd wie zwei Lämmer, wenn der Wolf kommt, verdrückten sich Xenia und Yolanda hinter Katara und krallten sich an ihren fledermausartigen Mantel.
«Jemand muss nachsehen», flüsterte Xenia schließlich.
«Ich nicht», hauchte Yolanda mit zitterndem Stimmchen.
«Ich auch nicht», meinte Xenia.
Wieder war es eine Weile still. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Schließlich stupsten Yolanda und Xenia Katara fast gleichzeitig in die Seite.
«Sieh du nach.»
«Warum ich?»
«Du bist die Mutigste.»
Katara holte tief Luft und gab sich Mühe, sich ihre eigene Angst nicht anmerken zu lassen. «Also gut», sagte sie entschlossen. «Ich sehe nach.» Sie umklammerte die Fackel mit beiden Händen und löste sich von ihren Freundinnen. Einem Panther gleich schlich sie in Richtung der umgefallenen Lanze. Jeder Muskel ihres durchtrainierten Körpers war angespannt. Langsam näherte sie sich der Nische. Sie streckte die Fackel wie einen Knüppel weit vor, bereit, beim kleinsten Geräusch zuzuschlagen. Der flackernde Schein des Feuers beleuchtete jeden Winkel und jede Nische. Wenn jemand hinter einer der Rüstungen steht, dann werde ich ihn schon entdecken. Und dann kann er was erleben.
Mit einem Mal kreischte Yolanda auf. Aus der Mauernische, vor der sie und Xenia standen, hatte eine kalte Hand nach ihr gegriffen. Yolanda schrie wie am Spieß. Katara wirbelte auf dem Absatz herum, und was sie nun sah, verschlug ihr gänzlich den Atem. Ein Mann hatte sich unmittelbar hinter den beiden Mädchen aufgebaut, eine dunkle Gestalt in einem schwarzen Anzug.
«Katara! Hinter dir!», rief Xenia. In diesem Augenblick hörte Katara dicht neben sich Schritte. Im Bruchteil einer Sekunde sah sie aus den Augenwinkeln einen großen Schatten an der gegenüberliegenden Wand. Bevor sie überhaupt in der Lage war zu reagieren, wurde ihr die Fackel aus der Hand geschlagen. Jemand packte sie im Würgegriff am Hals und presste ihr von hinten ein Tuch auf den Mund. Ein süßlicher Geruch stieg ihr in die Nase.
«Katara!», hörte sie Xenia entsetzt rufen. Es klang wie aus weiter Ferne, wie durch Watte.
Katara wurde es schwindlig. Alles begann sich zu drehen. Das Blut rauschte immer mehr in ihrem Kopf. Ihre Arme und Beine fühlten sich sonderbar schwer an. Und dann wurde ihr schwarz vor den Augen.
9
Ephrion war ziemlich aufgeregt. Seine Mutter hatte ihm gesagt, er solle seine besten Kleider anziehen.
«Heute ist ein besonderer Tag», hatte sie gesagt. Und sie hatte es sehr feierlich gesagt. Ja, heute war ein besonderer Tag, ein Tag, auf den sich Ephrion seit Wochen gefreut hatte. Denn heute war der Tag, an dem die Hexe Isabella verbrannt werden würde. Über sieben Monate waren vergangen seit der letzten öffentlichen Hexenverbrennung. Doch diese hier war etwas ganz Besonderes. König Drakar hatte überall verkünden lassen, dass er den Tag, an dem Isabella sterben würde, zu einem nationalen Feiertag erklären würde. Und dieser Tag war heute.
Für Ephrion gab es nichts Aufregenderes als eine Hexenverbrennung. Denn dann war die ganze Stadt in Feststimmung. Sämtliche Geschäfte und Schulen waren geschlossen. Niemand arbeitete. Die Straßen waren geschmückt mit farbigen Papiergirlanden, die Menschen hängten Flaggen aus den Fenstern, überall spielten Musikanten auf ihren Instrumenten, und der König ließ sogar
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