Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
dreizehn oder vierzehn. Und den Mund kannst du wieder schließen.»
Für ein paar Sekunden war es still. Ephrion war sprachlos, und das wollte etwas heißen.
«Wie … wie machst du das?»
«Ich weiß es nicht», sagte Katara. «Ich sehe es einfach.»
«Hast du das schon immer gekonnt?»
«Nein. Es begann, als ich etwa sechs, sieben Jahre alt war. Zuerst war es nicht so ausgeprägt. Ich sah einfach besser in der Dämmerung als andere. Beim Versteckspielen haben sich immer alle gewundert, warum ich sie so rasch entdeckte. Mit den Jahren wurde es stärker. Ich brauchte immer weniger Licht, und irgendwann begann ich dann auch in kompletter Dunkelheit zu sehen.»
«Ist ja irre.»
«Ich sehe auch durch den Nebel hindurch. Natürlich nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn andere zehn Fuß weit sehen, sehe ich im Umkreis von einer Meile alles gestochen scharf, auch die kleinsten Details.»
«Krass.»
«Ich frage mich bloß, wieso sie es wissen», überlegte Katara. «Warum haben sie mir die Augen verbunden – und dir nicht?»
Sie schaute zu Ephrion hinüber, der plötzlich wie versteinert dasaß, als hätte er einen Geist gesehen. «Ephrion?»
Ephrion schluckte. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, der fast noch unheimlicher war als die Tatsache, gefesselt in einem Kellerloch zu sitzen.
«Katara», begann er zögernd, und das Mädchen sah die Panik und Verwirrung in seinem Blick, «bist du … bist du eine Hexe?»
Für einen kurzen Moment wusste Katara nicht, was sie darauf antworten sollte.
«Ich? Nein, natürlich nicht. Würde ich sonst hier sein?!»
«Aber …», fuhr Ephrion fort, «aber … du siehst im Dunkeln. Und durch den Nebel. Kein Mensch kann das.»
«Ich weiß.»
«Und du bist ganz sicher, dass du … keine Hexe bist?»
«Ich bin keine Hexe, klar?!» Kataras Stimme klang vorwurfsvoll. «Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.»
Sie schwiegen eine Weile. Es war ein seltsames Schweigen, das gefüllt war mit hundert unausgesprochenen Fragen. Ephrion war es, der als Erster wieder das Wort ergriff.
«Wenn wir bloß etwas hätten, um unsere Fesseln durchzuschneiden, irgendetwas mit einer scharfen Kante.»
Katara ließ ihren Blick durch den dunklen Raum gleiten. Es war eine Art Kellergewölbe ohne Fenster. In einer Ecke waren ein paar Kartoffelsäcke gelagert, daneben befanden sich ein dreibeiniger Stuhl, eine uralte Kommode, ein verrostetes Laufrad und ein zerbrochener Wandspiegel. Spinnweben hingen von der Decke. Es machte den Anschein, als wäre der Raum seit sehr langer Zeit nicht mehr benutzt worden. In der Mitte führte eine Holztreppe nach oben.
«Siehst du etwas?», fragte Ephrion.
«Nichts, was uns helfen könnte», antwortete Katara. «Der Raum hat keine Fenster, nur eine Tür am Ende einer langen Holztreppe. Da kommen wir nicht raus. Und ansonsten liegt hier nur eine Menge Gerümpel herum. Moment mal …» Sie hielt inne. «Da ist auch ein zerbrochener Spiegel! Das könnte funktionieren.»
Das Mädchen zog die Beine an den Körper, stieß sich mit den Händen ab und richtete sich auf.
«Was machst du?», fragte Ephrion.
«Vielleicht finde ich eine Glasscherbe auf dem Boden. Bin gleich zurück.»
Ephrion biss sich nervös auf die Unterlippe, während Katara mit geschlossenen Füßen auf den zerbrochenen Spiegel zuhüpfte, der in etwa zehn Fuß Entfernung an der Wand lehnte. Eilig begann sie, den Spiegel und den Boden drumherum nach Glassplittern abzusuchen.
«Und?», fragte Ephrion aufgeregt.
«Ich hab was. Ich glaube, damit kriegen wir die Fesseln durch.» Katara kniete sich nieder, klaubte mit den Fingern willkürlich eine Scherbe vom Boden und hüpfte so rasch sie konnte zurück zu Ephrion.
«Gut», sagte sie. «Ich werde zuerst versuchen, deine Fesseln durchzuschneiden. Streck die Hände etwas zur Seite, damit ich besser rankomme.»
Ephrion tat es, und Katara machte sich unverzüglich an die Arbeit. Sie feilte und säbelte, so gut es ging. Einmal traf sie das Handgelenk des Jungen, doch er biss sich auf die Zähne und ließ sie weiterschneiden. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Stricke durch hatte, gerade rechtzeitig, bevor sie Schritte über sich vernahmen.
«Schnell», flüsterte Katara Ephrion zu, «zieh mir die Augenbinde an. Sie liegt gleich neben dir. Ich will nicht, dass die Verdacht schöpfen.»
Ephrion tastete im Dunkeln nach dem Tuch und band es Katara um. Dann legte er seine Hände auf den Rücken zurück, als wäre er noch immer gefesselt, und
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