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Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Titel: Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damaris Kofmehl , Demetri Betts
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Bestie.»
    Nayati knurrte und legte die Ohren zurück, als wollte er andeuten, dass er sich unter gewissen Umständen sehr wohl in eine Bestie verwandeln konnte. Aliyah warf die löchrige Decke zurück und tastete nach dem Maulkorb, den sie am Abend neben die Matratze gelegt hatte. Mit einem leisen Grollen ließ Nayati sich das lästige Ding umschnallen.
    «Brav, Nayati», lobte ihn seine junge Herrin. «Ich weiß, dass du dich nicht wohlfühlst mit dem Maulkorb. Aber heute geht es leider nicht anders.»
    «Und zieh dir gefälligst was Nettes an», kam es erneut aus der Küche. «Nur, weil du blind bist, brauchst du dich nicht wie ein Krüppel zu kleiden. Ich will mich deinetwegen nicht schämen müssen.»
    Nayati knurrte erneut, als die raue Stimme aus der Küche ertönte. Aliyah kniete neben ihm nieder und redete ruhig auf ihn ein.
    «Reg dich seinetwegen nicht auf. Er hat mich noch nie leiden können. Ich hab mich längst an seinen harschen Tonfall gewöhnt.»
    Der weiße Wolf sah das kleine Mädchen mit seinen klaren blauen Augen liebevoll an und stupste es sanft, als wolle er es trösten. Aliyah lächelte und tätschelte ihm den Nacken.
    «Ja, ich mag dich auch, Nayati. Aber jetzt muss ich mich anziehen, bevor mein Onkel wirklich sauer wird.»
    Rasch sprang sie zu ihrem Kleiderschrank, der eigentlich kein Kleiderschrank war, sondern nur eine aufgespannte Schnur mit ein paar aufgehängten Säcken und Körben, in denen Aliyah ihre wenigen Habseligkeiten aufbewahrte. Ihren Kleiderschrank hatte Onkel Fingal an eine Papierfabrik verkauft und von dem Erlös eine Armbanduhr erstanden. Überhaupt hatte ihr Onkel ihr alles weggenommen, was sich irgendwie zu Geld machen ließ.
    «Eine Göre wie du braucht keinen Luxus», war seine Begründung, und dann fügte er meistens noch hinzu: «Und überhaupt, du kannst von Glück reden, dass ich dich nicht längst auf die Straße gesetzt habe. Ich ernähre dich bloß, weil es der letzte Wille meiner Frau war.»
    Die Worte waren schlimmer als eine kalte Ohrfeige mitten ins Gesicht, und Aliyah fühlte sich so wertlos und ungewollt, wie man sich als Kind nur fühlen kann. Manchmal weinte sie sich in den Schlaf und wünschte sich, ihre Mutter würde noch leben. Aber das tat sie nicht. Sie war vor zwei Jahren gestorben, und es hatte Aliyah das Herz gebrochen. Eigentlich war sie nicht ihre leibliche Mutter gewesen. Sie hatte Aliyah eines Tages einfach vor der Tür gefunden. So hatte sie es ihr jedenfalls erzählt. Eines Morgens hätte sie die Tür geöffnet, und da lag in einem geflochtenen Korb ein kleines schreiendes Bündel direkt auf der Schwelle ihrer Haustür. Onkel Fingal wollte das Findelkind nicht behalten, doch seine Frau hatte sich schon immer ein kleines Mädchen gewünscht, und so nahmen sie Aliyah bei sich auf.
    Lange hatte Aliyah nicht gewusst, dass die Frau, die sie Mutter nannte, nicht ihre leibliche Mutter war. Sie sagte ihr die Wahrheit, als sie sieben Jahre alt war, und erzählte ihr die wundersame Geschichte des Korbes auf der Türschwelle.
    Bei Onkel Fingal war es anders. Er legte von Anfang an sehr viel Wert darauf, nicht mit Vater angesprochen zu werden, sondern mit Sir. Einmal hatte sie ihn gefragt, wer denn ihr richtiger Vater sei. Darauf hatte er geantwortet: «Ich weiß es nicht. Aber taugen tut er bestimmt nicht viel, wenn ich mir dich ansehe.» Onkel Fingal war nie freundlich gewesen zu Aliyah. Er bezeichnete sie als «Strafe» und «unnützes Ding, das überall im Weg steht», und seit seine Frau gestorben war, hatte sich alles noch verschlimmert.
    «Eine feine Erbschaft, die mir meine Frau hinterlassen hat», pflegte er zu sagen, «ein blinder Nichtsnutz, lebensuntauglich und dumm. Ich weiß wirklich nicht, womit ich das verdient habe.»
    Aliyah fügte sich schweigend in ihr Schicksal. Wenigstens hatte sie Nayati, den weißen Wolf. Mit ihm an ihrer Seite war alles viel erträglicher. Er war ihr bester Freund. Der einzige, den sie hatte. Sie hatte Nayati vor ungefähr einem Jahr in einem verlassenen Hinterhof winselnd vorgefunden. Er hatte sich mit den Hinterpfoten in einem Stacheldraht verfangen. Zuerst dachte Aliyah, es wäre ein Hund, da er freudig kläffte, als sie sich ihm näherte. Doch dann hörte sie die warnenden Rufe eines vorbeilaufenden Jungen, der ihr voller Panik zurief, sie solle sich bloß von dem Wolf fernhalten, bevor er sie in Stücke reiße und zum Abendessen verschlinge. Es war also ein Wolf, und Wölfe bellen normalerweise nur selten

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