Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
passiert?», stammelte Aliyah leise. «Dieser, uhh, dieser … Schrei. Noch nie habe ich einen solchen Schrei gehört. Was ist es, das sie geschrien hat?»
Die Prophetin sah auf. «Sie hat den Namen ausgesprochen, der vor dreiunddreißig Jahren aus Dark City verbannt wurde. Sie hat gewagt, was sich niemand mehr traute, seit Drakar der Erste die Todesstrafe verhängte über alle, die von ihm reden.»
«Die von wem reden?», fragte Katara.
«Von einem König, der regierte, bevor Drakar der Erste an die Macht kam. Er ist der rechtmäßige König Shaírias, und er wird zurückkommen, um das Paradies auf unserer Insel und in den Herzen der Menschen wiederherzustellen.»
Die Brust der Alten wölbte sich. Ihre trüben Augen wurden erneut von einem seltsamen Glanz erfasst, als sie verkündete:
«Sein Name ist Arlo. König Arlo.»
Eine eigenartig majestätische Atmosphäre legte sich über das bescheidene Wohnzimmer. Selbst die Jugendlichen spürten einen Hauch von Ehrfurcht, obwohl sie es sich nicht erklären konnten. Der Wolf begann sehnsüchtig zu winseln, und die blonden Männer in ihren schwarzen Anzügen strafften ihre athletischen Körper und sagten in respektvollem Tonfall:
«Lang lebe der König.»
Ephrion schüttelte verwundert den Kopf. «Ich hab den Eindruck, ich hätte diesen Namen schon irgendwo gehört.»
«Dein Großvater hat dir von ihm erzählt», klärte ihn die Alte auf. «Aber er hat ihn Olra genannt, nicht wahr?» Wieder wunderte sich Ephrion, woher das Mütterchen all diese Dinge wusste. Ja, sein Großvater hatte ihm von diesem geheimnisvollen König erzählt. So war es gewesen. Und das war der Tag gewesen, als Ephrion ihn zum letzten Mal gesehen hatte, damals vor sieben Jahren.
«Wir alle haben in den vergangenen Jahren seinen Namen rückwärts ausgesprochen», ergänzte die schwarze Frau. «Es ist zu gefährlich für uns Propheten, offen über ihn zu reden. Nicht nur, weil Drakar überall seine Spione hat und uns dafür töten lassen könnte. Es gibt noch einen anderen Grund. Seit Drakar der Erste die Regierung übernommen hat und Olra untergetaucht ist, gewann sein Name eine unerklärliche Kraft. Der Name ist so mächtig, dass niemand ihn leichtfertig in den Mund nehmen sollte. Daher befolgt meinen Rat und nennt den König ‹Olra›, bis die Zeit reif ist, um seinen wahren Namen wieder auszusprechen.»
«Und wann wird das sein?», fragte Aliyah.
«Ihr werdet es wissen, denn ihr seid es, die diese Zeit herbeiführen werdet.»
«Wir?», zweifelte Miro.
Die Prophetin nickte. «Schon vor eurer Geburt seid ihr dazu bestimmt worden, diese Mission zu erfüllen. Ihr seid es, die dem König von Shaíria das Buch der Prophetie und auch sein Schwert bringen werdet, damit er nach Dark City zurückkehren kann.»
«Was denn für ein Schwert?», erkundigte sich Katara.
«Ein besonderes Schwert. Es wurde aus einem Metall geschmiedet, das nicht von dieser Welt ist. Man nennt es ‹das flammende Schwert›, weil Olras Geist auf ihm ruht. Ein außergewöhnliches und sehr gefährliches Schwert. Olra ließ es in der Grolchenhöhle, am östlichsten Hang des Atha-Gebirges, verstecken. Ein Mann hat sein Leben geopfert, um es dorthin zu bringen. Dort sollte es ruhen, bis die Zeit gekommen wäre für den letzten Kampf. Und ihr werdet es aus dieser Höhle holen.»
Ephrion schluckte. Es wurde ihm auf einmal ganz elend zumute bei diesen großen Worten. «Könnt Ihr nicht jemand anders schicken, um das zu erledigen? Klingt alles irgendwie ein wenig gefährlich, wenn Ihr mich fragt.»
«Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Ephrion», versicherte ihm die Alte, «die Prophezeiung wird Euch schützen.»
«Und wie finden wir diese Grolchenhöhle?», erkundigte sich Miro.
«Der Wolf wird euch führen», sagte das Mütterchen, streckte die Hand aus, und Nayati kam folgsam auf sie zugetrabt. Sie streichelte ihm das weiße Fell, beugte sich zu ihm hinunter und raunte ihm etwas ins Ohr in einer Sprache, die die Teenager nicht verstehen konnten. Nayati kläffte daraufhin zweimal laut, als hätte er alles begriffen.
«Ich habe ihm den Weg erklärt. Er wird sich nicht verirren.»
Die Jugendlichen trauten ihren Ohren nicht.
«Ihr habt ihm den Weg erklärt?», fragte Katara, «einem Wolf?»
«Nayati ist kein gewöhnlicher Wolf», erwiderte das Mütterchen. «Ihr solltet ihn nicht unterschätzen.»
«Ich glaube, mich überrascht gar nichts mehr», meinte Ephrion, während er sich einen neuen Keks in den Mund steckte.
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