Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
Und bleibe immer ganz dicht bei ihnen, damit sie sich nicht verlaufen.»
Der Wolf sah sie mit seinen wachsamen blauen Augen verständig an und bellte zweimal zur Bestätigung, dass er seine Aufgabe verstanden hatte.
«Es wird ein beschwerlicher Weg», erklärte die Prophetin mit ernster Miene und blickte die Jugendlichen eindringlich an. «Ein Weg voller Drangsal und Entbehrung. Ihr werdet vielleicht trotz meines Proviants Hunger leiden und Durst. Verzweiflung und Einsamkeit werden euren Weg säumen. Ihr werdet um der Prophezeiung willen auf Unverständnis, Ablehnung und Hass stoßen. Freunde werden zu Feinden, und diejenigen, denen ihr vertraut habt, werden euch verraten. Eure Augen werden nur sehr wenig Schlaf finden, euer Herz keine Ruh, bis nicht erfüllt ist, wozu ihr ausgesandt seid. Ihr werdet alles verlieren und doch alles gewinnen.»
Sie machte eine Pause und suchte den Blickkontakt mit jedem Einzelnen. Ihre alten Augen waren gefüllt mit Hoffnung und tiefstem Vertrauen. «Ich lege eine große Verantwortung auf eure Schultern. Sobald ihr die Schwelle dieses Hauses überschritten habt, gibt es kein Zurück mehr. Und ich kann euch nicht einmal versprechen, dass ihr alle lebend zurückkehren werdet. Wenn ihr die Herausforderung nicht annehmen wollt, dann gebe ich euch die Möglichkeit, nach Ablauf der Frist nach Hause zurückzukehren. Ich werde euch nicht im Wege stehen, noch meine Begleiter. Die Entscheidung liegt ganz bei euch.»
Das Heulen des Windes verstummte. Für ein paar Sekunden herrschte Stille. Das Einzige, was zu hören war, war das Ticken des Weckers, und es klang nicht mehr wie ein gewöhnliches Ticken, sondern wie der Pulsschlag eines neuen Zeitalters. Die Jugendlichen erhoben sich zögernd von ihren Stühlen, hängten sich die Taschen um die Schultern und blieben unsicher und schweigend in der Mitte des Wohnzimmers stehen. Als sich niemand zu Wort meldete, ergriff Aliyah die Initiative.
«Ich denke, wir sind bereit», sagte sie mit zartem Stimmchen.
Nayati heulte, und fast gleichzeitig zuckte ein wilder Blitz. Der darauf folgende Donnerschlag krachte so gewaltig, dass der Boden erzitterte. Die Prophetin reckte voller Stolz und Würde ihr Kinn.
«So sei es», flüsterte sie geheimnisvoll. «Das Ende hat begonnen. Das Schicksal von Dark City liegt jetzt in euren Händen.»
32
Der Wind peitschte den Regen schräg über die karge Ebene. Der Boden war aufgeweicht und matschig. Obwohl es kaum zwölf Uhr mittags war, erschien es, als wäre es kurz nach Mitternacht. Der Sturm hatte auch noch das letzte schummrige Licht verschluckt. Es herrschte eine unheimliche Stimmung. Das Mütterchen verabschiedete sich von jedem persönlich mit einem warmen Lächeln und einem festen Händedruck. Anovan und Ishavan öffneten die Haustür und nickten den vier Teenagern zu, als sie eskortiert von Shonovan und Liovan das Haus verließen. Die beiden jungen Männer schienen auf Wolken zu schweben, so leicht war ihr Gang. Sie halfen den vier Jugendlichen und dem Wolf in die geschlossene Kutsche, die nur ein paar Armspannen vom Eingang entfernt stand. Die Pferde waren bereits eingespannt.
Plötzlich kam das Mütterchen ganz aufgeregt in ihren Pantoffeln aus dem Haus gestürmt, eine Tüte in der rechten Hand, und rief:
«Kinder, Kinder, beinahe hätte ich vergessen, euch die restlichen Kekse mitzugeben. Ich kann euch doch unmöglich ziehen lassen ohne einen Notvorrat meiner Schokolade-Zimt-Kekse.»
Ephrion lief das Wasser im Mund zusammen beim Gedanken an das köstliche Gebäck der alten Frau. Er hatte bereits am Küchentisch kräftig zugelangt, weil ihm die Kekse so gut schmeckten. Und dass sie ihnen sogar noch welche mit auf den Weg gab, fand er äußerst aufmerksam von der alten Frau. Sie ist tatsächlich wie eine Großmutter, dachte er. Immer besorgt um das leibliche Wohl ihrer Enkel.
«Ihr könnt die Kekse mir überlassen», stellte er sich großzügig zur Verfügung und streckte seine Hand vor. «Ich packe sie zu dem Buch der Prophetie.»
«Das halte ich für keine gute Idee», mischte sich Katara ein, die gleich neben ihm in der Kutsche saß. «Ich hab dich beobachtet im Häuschen. Du hast doppelt so viele Kekse gegessen wie wir. Du willst sie doch nur tragen, damit du sie heimlich aufessen kannst.»
«Ich verspreche dir hoch und heilig, ich werde die Kekse hüten wie meinen Augapfel», sagte Ephrion mit treuherzigem Blick.
«Na gut», schmollte Katara, «aber ich werde dich trotzdem im Auge
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