Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
dich!»
«Wir sind ein Team, Katara», entgegnete Aliyah und begann die beiden losen Ärmel ihres Kleidchens von ihren Oberarmen loszuschnüren.
«Aliyah, du wirst abstürzen!», rief Katara. «Was machst du denn da?»
Das blinde Mädchen tastete sich weiter vor und legte sich neben Katara auf den flachen Stein.
«Da, nimm. Damit kriegen wir ihn.» Sie reichte Katara eines der feinen, aber sehr reißfesten Tücher, während sie selbst das Ende des zweiten Tuches fest um ihre Hand wickelte und das andere Ende verknotete und Ephrion zuwarf.
Katara verstand, was ihr Plan war, und tat dasselbe. Die beiden Tücher hingen jetzt über den Felsvorsprung und berührten Ephrions Arme wie die zarten Flügel eines Schmetterlings.
«Ephrion, wir brauchen dich!», rief ihm Aliyah mit sanfter Stimme zu. «Denk an die Prophezeiung! Denk an deine Berufung!»
«Ich … ich kann nicht!», schrie Ephrion weinerlich.
«Greif endlich nach dem Tuch, Dicker!», rief Miro von hinten.
«Miro, hilf uns besser!», schnaubte jetzt Katara, ohne sich nach ihm umzudrehen. «Halte Aliyahs Beine fest, damit sie nicht auch noch abrutscht.»
«Und was ist mit dir?», fragte Miro zurück.
«Jetzt mach schon!», antwortete Katara ungeduldig. «Schnell!» Sie sah mit wachsender Besorgnis, wie sich ein paar seitliche Wurzeln vom Felsen zu lösen begannen. Es war eine Frage von Sekunden, bis die Wurzel, an der sich Ephrion festhielt, nachgeben und der Junge in den sicheren Tod stürzen würde. Miro ging hinter Aliyah in die Hocke, den Rücken dem Höhleneingang zugekehrt, und hielt mit beiden Händen ihre Beine fest. Dabei lehnte er sich wie beim Seilziehen schräg zurück, um sich gegen Ephrions Körpergewicht stemmen zu können, falls dieser Aliyah Richtung Abgrund zerren würde. Für einen Moment überlegte er sich, ob sich Aliyah durch seine Stütze sogar noch weiter vorbeugen könnte, um Ephrions Hand zu ergreifen, doch bevor er überhaupt dazu kam, seine Idee anzubringen, gab die Wurzel nach. Kataras Augen weiteten sich vor Entsetzen.
«Ephrion! Jetzt!»
Ephrion reagierte instinktiv. Er packte die beiden Tücher wie einen Rettungsring. Aliyah spürte ein heftiges Reißen in ihrem Arm und fürchtete, sich durch den starken Ruck die Schulter auszukugeln. Doch sie biss sich auf die Zähne und hielt eisern an dem Tuch fest. Katara tat dasselbe. Miro versuchte als Gegengewicht zu dienen und lehnte sich so weit zurück, wie es ihm möglich war. Gemeinsam begannen sie, Ephrion Fingerbreit um Fingerbreit hochzuziehen, bis es dem Jungen gelang, sich selbst an der Kante des Felsvorsprungs festzuklammern. Sie hievten ihren Gefährten auf die Felsplatte und blieben eine Weile mit ausgestreckten Armen und Beinen liegen wie vier gestrandete Schiffbrüchige am Ufer einer Insel. Dann setzten sie sich auf und sahen sich für einen langen Moment einfach nur gegenseitig an – drei mit ihren Augen, eine mit ihrem Herzen –, keuchend und ohne ein Wort zu sagen.
36
«Danke», murmelte Ephrion, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. «Ihr habt mir das Leben gerettet.»
«Gern geschehen», meinte Aliyah bescheiden.
«Keine Ursache», sagte Katara. «Ich halte meine Versprechen.»
Miro eierte herum und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Schließlich meinte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr: «Wir sollten aufbrechen. Wir müssen das flammende Schwert aus der Grolchenhöhle holen.»
«Die Grolchenhöhle», sagte Katara und betrachtete den Höhleneingang hinter ihnen eingehend. «Irgendwo dort drin ist also das flammende Schwert versteckt.»
«Ich frage mich bloß, wie wir es im Dunkeln finden sollen», überlegte Miro.
Katara klopfte ihm grinsend auf die Schulter. «Schon vergessen, dass ich im Dunkeln sehen kann?»
Miro lächelte fasziniert. «Du bist echt das krasseste Mädchen, das mir je begegnet ist, Katara. Und du siehst tatsächlich im Dunkeln? Ohne Scherz?»
«Ich kann die Führung übernehmen», schlug Katara vor.
Miro fand das eine gute Idee. «Ich schlage vor, Katara, Ephrion und ich gehen in die Höhle und holen das Schwert. Und Aliyah wartet mit Nayati hier draußen.»
«Warum willst du nicht, dass ich mitgehe?», fragte Aliyah.
«Du würdest bloß herumstolpern im Dunkeln.»
Aliyah schob sich ihr glänzendes kupferrotes Haar hinter die Ohren und streckte beleidigt die Nase in die Luft. «Wann verstehst du es endlich: Meine Blindheit ist keine Behinderung, sondern eine Stärke. Wenn sich jemand in der Dunkelheit
Weitere Kostenlose Bücher