Dark Desires - Im Bann der Unsterblichkeit
fast wie bei einer Totenwache. Er konnte jetzt alles tun. Er konnte Devon mit einer Axt den Kopf abschlagen oder ihn die Stufen der Metalltreppe hinunterwerfen, damit er in der Sonne verbrannte. Und Devon vertraute ihm, dass er es nicht tat. Plötzlich kam Jesse sich wie ein Eindringling vor.
„Wir sollten gehen.“ Er kam schwankend auf die Beine.
Nachdem Mia die Wohnzimmertür geschlossen hatte, folgte Jesse ihr in die Küche. Sie setzten sich an den Tisch und Mia begann, Tabletten aus einer Reihe von Pillendosen und -röhrchen zu nehmen und auf zwei Untertassen zu verteilen.
„Hier.“ Mia reichte ihm eine der Untertassen.
Er betrachtete skeptisch die fünf unterschiedlich geformten Tabletten.
„Das sind Vitaminpräparate, Folsäure und Eisen.“ Sie füllte ein Glas mit Wasser. „Die Tabletten sollten Sie eine Zeitlang einnehmen. Die Dosierung steht auf den Packungen. Ich lasse Ihnen auch ein Antibiotikum da. Bisswunden entzünden sich sehr selten, aber in diesem Fall sollten wir kein Risiko eingehen.“
Sie klang wie eine Expertin.
„Warum entzünden sich Bisswunden nicht?“
„Der Vampirspeichel enthält verschiedene Enzyme“, erklärte Mia bereitwillig. „Einige beugen Infektionen vor, andere wirken blutstillend und regen die Heilung an. Deshalb verbluten die Opfer nicht nach einem Biss.“ Ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Entschuldigung. Das ist kein gutes Thema.“
Dafür war sie verdammt begeistert bei der Sache. Jetzt musste er sich also damit abfinden, dass Vampirenzyme in seinem Blut herumschwammen! Jesse verspürte den dringenden Wunsch, zu duschen.
„Die Wunde wird schnell verheilen.“ Mia lächelte aufmunternd. „Sie werden sehen, in einer Woche ist sie verschwunden.“
Das würde er erst glauben, wenn er es sah. Er spülte die Tabletten brav runter, reichte ihr Glas und Untertasse zurück und trat ans Fenster. Die Dämmerung hatte eingesetzt. Wolken zogen auf. Sein Blick fiel auf die Metalltreppe. Dort war es geschehen. Direkt vor seiner Wohnung. Auf einmal spürte er Richard Geoffreys Finger im Nacken. Ein eisiger Schauer überlief ihn.
Die Wäsche liegt noch in der Waschmaschine.
Der Gedanke tauchte plötzlich in seinem Kopf auf und er war so unwichtig, dass Jesse fast losgelacht hätte.
„Alles in Ordnung?“ Mia betrachtete ihn besorgt.
Nein, nichts war in Ordnung. Was würde Nathans Familie tun, wenn er von einem Tag auf den anderen verschwand? Hatte er Conrad erzählt, dass er nach St. Kilda fahren wollte, um sich mit der Schwuchtel zu versöhnen? Falls das überhaupt sein Plan gewesen war. Würde die Polizei morgen an der Tür klingeln und nach Nathan fragen? Erst Noah, jetzt Nathan. Eine weitere Familie, die vermutlich nie erfahren würde, was wirklich geschehen war.
„Seit wann wissen Sie von ihnen?“, fragte Jesse, ohne den Blick vom Innenhof zu nehmen. Ob die Stufen der Metalltreppe von seinem Blut verschmiert waren? Sollte er nachsehen?
„Seit fünf Jahren“, erwiderte Mia. „Ich war zu einer Silvesterfeier eingeladen“, fuhr sie fort. „Eine furchtbar langweilige Angelegenheit. Bis mir Pamela, die Gastgeberin, einen sehr sympathischen jungen Mann vorgestellt hat.“
Etwas am Klang von Mias Stimme ließ ihn den Kopf wenden.
In ihren Augen lag wieder dieser verklärte Ausdruck.
„Ich habe sofort gespürt, dass er anders ist. Es war seine Ausstrahlung, der schwarze Sinn für Humor, die jungenhafte Arroganz.“ Mia strahlte förmlich bei der Erinnerung. „Kurz vor Mitternacht sind wir zum Fluss runtergegangen, um uns das Feuerwerk anzusehen. Um Punkt Zwölf hat er mich geküsst, inmitten all der anderen Menschen. Es war sehr romantisch. Ich war unglaublich verliebt.“
Jesse lächelte. Das Gefühl kannte er.
„Danach sind wir einige Male ausgegangen. In die Oper, zum Tanzen, ins Theater, ins Kino. Keine Restaurants. Die mochte er nicht. Er ist nie zudringlich geworden, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte. Ich dachte, er sei zu sehr Gentleman. Dann hat Pamela mich eingeweiht.“ Ihre Stimme bekam einen verschwörerischen Unterton. „Anfangs habe ich ihr kein Wort geglaubt. Bis sie all die Details aufgezählt hat: die Blässe, die Treffen nach Sonnenuntergang, die kurzen Umarmungen, damit ich den fehlenden Herzschlag nicht bemerkte. Dass er tagsüber nicht zu erreichen war und in meiner Gegenwart nie etwas aß. Es ergab alles einen Sinn.“
„Diese Pamela hat es einfach ausgeplaudert?“
„Er hatte sie darum gebeten. Er hat im
Weitere Kostenlose Bücher